Im Mai kommt der amerikanische Schriftsteller Paul Russell auf Einladung des Männerschwarm Verlags aus Hamburg auf Lesereise durch Deutschland und Österreich. Im Interview zu seinem Buch „Über den Wolken“ trat eine ganz spezielle Verbindung zu Deutschland zu Tage.
Foto: E. Brown
Paul Russell
Gibt es ein Leitmotiv, das Sie in Ihrer Arbeit beschäftigt?
Ich schreibe über meine Obsessionen als Versuch, sie zu verstehen, aber auch, um in ihnen zu schwelgen. Und was sind meine Obsessionen? Jugend, Schönheit, Queer-Sein, Ratlosigkeit, Schrecken, Wunder, Bedauern, Erlösung ... das übliche Zeug der Literatur, nehme ich an, allerdings betrachtet durch die Linse meiner eigenen Macken und Vorlieben. Ich versuche, jeden Tag zu schreiben. Wenn ich nicht schreibe, bewege ich mich beängstigend unsicher durch die Welt. Das Schreiben ist für mein Wachsein, was Träumen beim Schlafen ist.
Warum haben Sie beschlossen, eine Art Fortsetzung zu „Brackwasser“ zu schreiben?
Ich hatte nicht die Absicht, eine Fortsetzung zu schreiben. Es war der Vorschlag meines Literaturagenten Harvey Klinger. Ich hatte einen Roman mit dem Titel „Die Engel kamen am Abend nach Sodom“ geschrieben, aber den hat er gehasst. Er sagte mir, ich solle das weglegen und es nie wieder anschauen. Also fragte ich: „Was soll ich jetzt tun?“ Da er ein sehr guter Agent ist, sagte er: „Schreib eine Fortsetzung zu ‚Brackwasser‘.“ Daran hatte ich nie gedacht und war dementsprechend auch nicht gerade begeistert von seinem Vorschlag. Ich hatte Harvey in New York zum Mittagessen getroffen und danach den Bus zurück ins Hudson Valley genommen, wo ich wohne. In den zwei Stunden, die ich brauchte, um nach Hause zu kommen, hat sich der Roman praktisch selbst geschrieben. Ich erkannte, dass alle Charaktere in den letzten 25 Jahren in meinem Gehirn gelebt hatten, und als ich die Tür öffnete, waren sie da. Ich wusste genau, was jeder von ihnen vorhatte. Leser fragen mich manchmal, wann ich entschieden habe, dass Chris im Irak als privater Militärunternehmer gearbeitet hat, und meine ehrliche Antwort lautet: „Ich habe mich nie entschieden. Ich wusste es einfach.“ Es ist sehr seltsam. Alle Romane sind schwer zu schreiben, aber „Über den Wolken“ war bei weitem am einfachsten. Der quälendste Teil meiner Arbeit ist für mich, die Charaktere kennenzulernen – aber natürlich kannte ich diese Charaktere schon. Jetzt verstehe ich, warum Autoren ihre Karriere darauf aufbauen, immer wieder die gleichen Charaktere aufzugreifen! Einige Leser fragen, ob es eine Fortsetzung zu „Über den Wolken“ geben wird. Die Antwort lautet: „Vielleicht.“
Wie sind Sie in Kontakt mit Männerschwarm gekommen und welche Verbindung besteht zu Deutschland?
Mein amerikanischer Verleger verkaufte vor einigen Jahren die Auslandsrechte für „Das unwirkliche Leben des Sergej Nabokow“ an Männerschwarm. Irgendwann kam Joachim Bartholomae, der Verleger, wegen einer Übersetzung von „Brackwasser“ und „Über den Wolken“ auf mich zu. Die Arbeit mit Männerschwarm war eine der besten Erfahrungen meiner schriftstellerischen Laufbahn. Der Unterschied zwischen einem kleinen, qualitativ hochwertigen Verlag und den Firmenriesen ist wie Tag und Nacht was die Sorgfalt und Aufmerksamkeit für das Werk betrifft. Ich glaube sehr, dass die Zukunft des literarischen Publizierens heute in den Händen visionärer Unternehmen wie Männerschwarm liegt.
Was meine Verbindung zu Deutschland betrifft: Deutschland war in meiner Vorstellung immer sehr präsent. Als Jugendlicher wollte ich Komponist werden und liebte die Musik von Bruckner, Mahler und Berg (ebenso wie ihren unbeschwerteren Cousin Richard Strauss). 1975 habe ich sechs Wochen am Goethe Institut in Blaubeuren studiert und dann noch ein paar Monate in Freiburg gelebt. Außer ein paar Tagen, die ich in den 1980er-Jahren in München verbracht habe, bin ich seitdem nicht mehr zurückgekehrt, obwohl ich in meinem Roman über Nabokovs Bruder über Deutschland geschrieben habe. Merkwürdig ist: Meine Zeit in Deutschland hat mich zum Schriftsteller gemacht. Erst als ich einige Monate ohne Englisch verbracht habe, wurde mir klar, wie selbstverständlich es für mich war und dass es in gewissem Sinne das Musikinstrument war, nach dem ich die ganze Zeit gesucht hatte. Deswegen schwingt auf dieser deutschen Tour ein ganz besonderes Gefühl für mich mit.
Gibt es neben den Lesungen etwas Bestimmtes, das Sie erleben möchten bei Ihrem Besuch?
Mein Zeitplan ist so intensiv – sechs Städte in zehn Tagen –, dass ich wahrscheinlich die meiste Zeit im Zug verbringen werde! Ich würde gerne das ehemalige Ost-Berlin besuchen. Als ich das letzte Mal dort war, ging es noch über den Checkpoint Charlie. Seitdem hat sich dort ja wohl einiges geändert.
*Interview: Christian Knuth
7.5., Buchhandlung Löwenherz, Berggasse 8, Wien 19:30 Uhr
8.5., SUB, Müllerstr. 14, München. 19:30 Uhr
9.5., Buchladen Erlkoenig, Nesenbachstr. 52, Stuttgart, 20 Uhr
11.5., Buchladen Eisenherz, Motzstr. 23, Berlin, 20 Uhr
14.5., Hein & Fiete, Pulverteich 21, Hamburg, 20 Uhr
15.5., Buchsalon Ehrenfeld, Wahlenstr. 1, Köln, 20 Uhr