Zwei Jahre musste sich Europas größtes Festival für Poesie mit neuen Wegen der Publikumsfindung begnügen und – wie die meisten Kulturschaffenden – den digitalen Raum erobern. Das hat gut geklappt. Dennoch ist man* glücklich, Mitte Juni in Berlin wieder vor Publikum aus Fleisch und Blut Emotionales und Mitreißendes live zu präsentieren.
Das 23. poesiefestival berlin ist zwar kein dezidiert queeres Kulturfest, allerdings neigt das Genre Poesie dazu, Romantiker und gesellschaftliche Grenzgänger magisch anzuziehen. Diese wiederum sind dann doch wieder zu einem überdurchschnittlichen Teil das, was wir heute als queer bezeichnen. Zusammen mit dem Kuratorium des Hauses für Poesie stellen wir euch ein paar queere Wegpunkte im umfassenden Programm des Festivals vor.
Ausstellung: „AI ANCESTORS – Spekulative Zukünfte“
Der wohl aktuellste Link in die gar nicht mehr so ferne reale Zukunft. Schon heute kann KI Wetter- und Sportnachrichten schreiben und die mit der Materie betrauten gehen davon aus, dass die vierte Generation, die kurz vor der Veröffentlichung steht, ganze Romane erdichten kann. Fakenews und politische Manifeste inklusive. Soeben erklärte Alphabet, der Mutterkonzern der weltgrößten Suchmaschine Google (die selber führend in der Erforschung und Nutzung sogenannter künstlicher Intelligenz ist), derlei Textwerk konsequent aus den Ergebnisseiten herausfiltern zu wollen. Wie das gelingen soll bei täuschend menschlicher Schreibe, wurde nicht verraten.
Mit den sprachlichen Möglichkeiten solcher Systeme setzt sich auch die lesbische Dichterin, Übersetzerin, Musikerin und Performerin Rike Scheffler in „AI ANCESTORS – Spekulative Zukünfte“ auseinander. Die Ausstellung arbeitet mit den künstlerischen und sprachlichen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und widmet sich möglichen Zukünften, in denen Gemeinschaft und Zugehörigkeit neu definiert werden. Die Kunstwerke erkunden animistische Mythen in Tibet und Ko-Autor*innenschaft mit Künstlicher Intelligenz, sie reagieren auf den Herzschlag der Besucher*innen und flüstern ihnen Gedichte aus der Zukunft zu. Rike Scheffler wird selbst einen Beitrag liefern, außerdem K Allado-McDowell aus San Francisco. K Allado-McDowell definiert sich als non-binär und ist Musiker*in, Künstler*in und Expert*in in Sachen zukunftsweisender Technologien.
15. – 23.6., Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin
„Belarus - Die Anthologie der Dichterinnen“
Foto: Mila Ivanoŭskaja
Nasta Mancewicz
Die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch präsentiert die „Anthologie der Dichterinnen“, eine einmalige Sammlung weiblicher Stimmen aus Belarus. Sechs von ihnen werden zum Festival anreisen, darunter zwei queere Akivistinnen aus Minsk: Nasta Mancewicz und Kryscina Banduryna.
19.6., Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin, 11 Uhr
Lesungen im Buchengarten der Akademie der Künste (Eintritt frei)
Am Sonntag, den 19.6. wird die Akademie der Künste zu einem großen Lyrikmarkt – mit Verkaufsständen von Verlagen und Zeitschriften, Mitmach-Aktionen für Kinder und Erwachsene, Lesungen von Nachwuchs-Autor*innen. Im Buchengarten der Akademie der Künste lesen im Wechsel rund 20 Dichter*innen aus dem In- und Ausland, darunter Christoph Klimke, Ronya Othmann – und Athena Farrokhzad. Die Lyrikerin, Dramatikerin, Übersetzerin und Literaturkritikerin ist Teheran geboren. Ihre Eltern flüchteten vor dem Iran-Irak-Krieg und der Verfolgung Linker nach Schweden, wo Farrokhzad aufwuchs. Sie lebt heute in Stockholm.Farrokhzad, seit ihrer Jugend in (queer-)feministischen und anti-kapitalistischen Bewegungen aktiv, ist u.a. Herausgeberin der ersten großen queeren Lyrikanthologie Schwedens („Omslag“).
19.6. Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin, 14 – 19 Uhr
Poesiefilmclub – Best of ZEBRA
Foto: Federica Danzi & Michele Battilomo
Eduard Escoffet
Da die letzten beiden ZEBRA Poetry Film Festivals coronabedingt nur online stattfinden konnten, sind nun die Gewinnerfilme von 2020 und 2021 auf großer Leinwand zu erleben. Special Guest ist der queere Dichter, Künstler und Performer Eduard Escoffet aus Barcelona.
21.6., Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin, 18 Uhr:
Poets' Corner
Im Vorfeld des Festivals gibt es wieder traditionell das Warm-up „Poets‘ Corner“ mit Lesungen von Dichter*innen in den Bezirken. Auch hier gibt es queere Beteiligungen mit Kevin Junk, Mathias Traxler und Jay Bernard.
Berlin-Pankow
Mit Kevin Junk, Hilá LahavMusik: Anastasios Savvopoulos, Moderation: Lara Sielmann
15.6., Brotfabrik Berlin, Caligariplatz 1, Berlin, 19:30 Uhr
Berlin-Mitte
Mit Anna Jagdmann, Nora Schramm, Agnes Siegenthaler, Mathias Traxler
16.6., Schweizerische Botschaft, Otto-von-Bismarck-Allee 4A, Berlin, 19 Uhr
Berlin-Kreuzberg
Der Londoner Jay Bernard bezeichnet sich als non-binär und wurde für den Gedichtband „Surge“ mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ted Hughes Award for New Work in Poetry. Jay Bernards künstlerisches Schaffen erstreckt sich über Dichtung, audiovisuelle Kunst, Illustration bis zu Theater. Jay kuratiert außerdem das Londoner LGBTQIA+ Filmfestival des British Film Institute.
16.6., DAADgalerie, Oranienstraße 161, Berlin, 19:30 Uhr
Das ausführliche Programmheft steht ab Mitte Mai HIER als Download zur Verfügung