Foto: Salzgeber
Der Regisseur, geboren 1989 und guter Freund und Studienkollege des Oscar-nominierten Regisseurs Lukas Dhont, hat bislang diverse Kurzfilme und Fernsehserien gedreht. Mit „Young Hearts“ (ab 16.1.2025 im Kino) legt der Belgier, der eine Weile lang in Berlin lebte, nun seinen ersten langen Spielfilm vor.
Der Film „Young Hearts“ ist die Geschichte einer aufkeimenden Liebe zwischen zwei 14-jährigen. Bei der Berlinale 2024 lief er in der Jugend-Sektion, aber auf diese Zielgruppe wollen sie sich vermutlich nicht beschränken, oder? Nein, ich wollte immer, dass dieser Film alle möglichen Menschen anspricht. Bei einem der Berlinale-Screenings meldete sich aus dem Publikum ein Mann, der sicherlich Mitte 70 war und bedankte sich dafür, dass ich ihn mit dieser Geschichte daran erinnert habe, wie es war, jung zu sein und mit seinen Gefühlen zu ringen. Dass auch seine Generation einen Bezug zu „Young Hearts“ finden kann, hat mich sehr gefreut. Mir war es einfach wichtig, dem Publikum zu zeigen, dass man keine Angst davor haben sollte, man selbst zu sein. Egal in welchem Alter.
Der Film geht dabei sehr liebevoll und optimistisch vor … Man könnte es auch als utopisch nennen. Und ich schäme mich nicht dafür, dass ich mir für diesen kleinen Film ein großes Finale mit Emotionen à la Hollywood gewünscht habe. Filme wie „Titanic“ oder „Moulin Rouge!“ haben mein Leben verändert, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Im Filmstudium haben da alle immer der Nase gerümpft, aber ich stehe dazu, dass ich Regisseur werden wollte, weil ich am eigenen Leib erlebt habe, wie sehr Filme ihr Publikum berühren können. Deswegen habe ich für den Schluss von „Young Hearts“ nun alle Register gezogen. Und bin wirklich überzeugt davon, dass in Zeiten wie diesen und gerade für junge Zuschauer*innen im Alter der Protagonisten diese Art von Film genau richtig kommt.
Anfangs waren allerdings sie der Ansicht, heutzutage brauche es keine Coming-out-Geschichten mehr, richtig? Als 2012 mein Kurzfilm „Kiss Me Softly“ erschien, der eine vergleichbare Geschichte erzählte, und einige Leute vorschlugen, daraus eine Langfassung machen, habe ich abgewunken. Ich war auf der Kunsthochschule, umgeben von anderen queeren Menschen und aufgeschlossenen Freunden, und fand es nicht mehr zeitgemäß davon zu erzählen, wie Jungs mit ihrem Schwulsein ringen. Ich wollte nach Berlin gehen und düstere, erwachsene Filme drehen.
Was ließ sie umdenken? Da kamen viele Faktoren zusammen. Angefangen mit der Tatsache, dass ich älter und reifer wurde und mit Anfang 30 die Relevanz einer solchen Geschichte erkannte, die ich aus meinen eigenen Lebensumständen heraus zehn Jahre früher nicht gesehen habe. Außerdem veränderte sich die Welt: Bilder von brennenden Regenbogenflaggen gingen um die Welt, in Belgien wurde ein Mann erstochen von Kids, die ihn über Grindr in eine Falle gelockt hatten, in den USA sind seit Trump LGBTIQ*-Rechte in Gefahr, in Ländern wie Ungarn sieht es nicht besser aus. Aber ich weiß auch noch, wie der Sohn eines guten Freundes mich nach Filmtipps fragte. Er war vielleicht zehn Jahre alt, hatte sich in einen Mitschüler verliebt und wollte gerne etwas gucken, wo es um genau so etwas ging.
Was haben sie ihm empfohlen? Für alle Filme, die mir einfielen, war er eigentlich noch zu jung, denn da ging es früher oder später immer auch um Sex, egal ob in „Nordzee, Texas“ oder „Call Me by Your Name“. Also beschloss ich, eine Geschichte zu erzählen, die sich ganz auf die romantische Seite einer solchen jungen schwulen Liebe zu konzentrieren. Auf diese kurze Phase kurz vor der Pubertät, wo diese Gefühle noch eine gewisse Unschuld haben. Damit auch ein Achtjähriger „Young Hearts“ gucken und sich darin wiedererkennen kann.
Wie schwierig ist es, für eine solche Geschichte die richtigen Darsteller zu finden? Das war tatsächlich kein Kinderspiel, denn das Zeitfenster ist klein, in dem Jungs alt genug sind, glaubwürdig solche Gefühle zu spielen, aber noch nicht so reif wirken, dass sie wie pubertierende Teenager wirken. Ein halbes Jahr nach Drehende, zur Berlinale-Premiere, sahen Lou und Marius zum Beispiel schon viel älter aus. Beim Casting mit den beiden sprachen wir gar nicht so viel darüber, dass es hier um eine schwule Liebesgeschichte geht, sondern allgemeiner über Liebe und Freundschaft. Für mich war es zweitrangig, ob sie selbst schwul sind oder nicht. Denn sie mussten sowieso verstehen, was es heißt, zu spielen und entsprechend zu unterscheiden zwischen der Realität und meiner Geschichte.
Was ihnen immer problemlos geglückt ist? Ja, denn wir hatten auch einen meiner besten Freunde am Set, der als Psychologe und Therapeut auf Kinder spezialisiert ist. Oliver hatte auch schon mit unserem gemeinsamen Freund Lukas Dhont bei seinem Film „Close“ zusammengearbeitet. Die beiden Jungs konnte mit allen Fragen, die zu Liebe, Gefühlen oder Sexualität aufkamen, zu ihm kommen. Insgesamt tauschten wir uns immer wieder aus, über Ängste, Zuneigung, Traurigkeit und alle möglichen Emotionen. Jeder von uns hatte eigene Geschichten und Erfahrungen zu berichten, aber die dahinter liegenden Emotionen waren eben doch immer die gleichen. Ich habe auch versucht sie darauf vorzubereiten, was es mit sich bringen kann, wenn man ihn ihrem Alter zum Gesicht einer schwulen Liebesgeschichte wird, die auch zuhause in Belgien in den Kinos zu sehen ist. Aber diesbezüglich waren sie unglaublich reif und besonnen. Gerade Lou, der sich schon sicher ist, dass er auf Mädchen steht, hatte gar kein Problem damit, wenn ihn jemand mit seiner Rolle in „Young Hearts“ gleichsetzt. Er sagte: „Das ist mir egal, denn ich weiß, wie wichtig diese Geschichte für meine ganze Generation ist. Dafür bin ich gerne das Aushängeschild.“
Die Geschichte des Films ist auch autobiografisch inspiriert, und nicht umsonst haben sie in dem Örtchen gedreht, in dem sie selbst aufgewachsen sind. Aber sieht der Alltag von 14-Jährigen heute nicht ganz anders aus als noch vor 20 Jahren? Was die äußeren Umstände angeht, stimmt das vielleicht. Doch mit Blick auf die Gefühlswelt denke ich, dass sich eigentlich gar nicht viel geändert hat. Heute gibt es zwar das Internet und ganz viele visuelle Eindrücke, außerdem wird immerzu behauptet, jeder sei offen und frei, das zu leben, was er fühlt. Doch tatsächlich über seine Gefühle, über Liebe und Sex zu sprechen und zu wissen, was man will, ist für Kids noch immer verwirrend und kompliziert. Übrigens auch weit über die Frage hinaus, als was man sich identifiziert oder zu wem man sich hingezogen fühlt. In dem Alter fühlt sich jeder immer wieder als Außenseiter und allein und ist damit beschäftigt, erst einmal Klarheit darüber zu gewinnen, wo man überhaupt hingehört. Meine Oma hat als 13-jährige davon geträumt, Sängerin zu werden, und konnte das in ihrer Arbeiterklassenfamilie nicht offen sagen. Das ist letztlich nicht so viel anders als bei mir, der sich in dem Alter nicht vorstellen konnte, dass es um mich herum jemanden gibt, der verstehen könnte, dass ich Jungs mag.
*Interview: Patrick Heidmann
Mit dem Klick auf das Video stimmst Du diesen Datenschutzbestimmungen von YouTube zu