
Foto: Pandora Film / Dexter Films DAC
Statt um den großen Durchbruch als Schriftsteller (inklusive Lesereise in den USA) muss sich der schwule Ire Edward (James McArdle, aus „Andor“ und „Ammonite“) um seine Mutter (Fionnula Flanagan) kümmern. Doch als seine Freunde kurzfristig für einen Pride-Abstecher nach Spanien aufbrechen und ihre Mütter ebenfalls in seine Obhut geben, steht dem immer noch der letzten Beziehung hinterhertrauernden Mitdreißiger ein Wochenende bevor, das ihn ordentlich auf die Probe stellt. Unter dem Titel „Vier Mütter für Edward“ ist diese ebenso charmante wie tragikomische Geschichte ab dem 10. Juli in den deutschen Kinos zu sehen. Inszeniert wurde sie vom irischen Regisseur Darren Thornton, der das Drehbuch gemeinsam mit seinem schwulen Bruder Colin schrieb. Wir sprachen die beiden im Interview.
Darren, Colin, Ihr neuer Film „Vier Mütter für Edward“ ist einerseits inspiriert von eigenen Erfahrungen mit ihrer pflegebedürftigen Mutter, andererseits ein Remake des italienischen Films „Das Festmahl im August“. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Mischung?
Darren: Im Grunde liegen die Wurzeln für diesen Film im Jahr 2016. Damals kam gerade unser erster Film „A Date For Mad Mary“ in die Kinos, und es war ein ziemlich irres Gefühl, die Werbetrommel für etwas zu rühren, woran wir so lange gearbeitet hatten. Diesem Moment hatten wir ewig entgegengefiebert. Aber gleichzeitig erlebten wir privat die schlimmste Zeit unseres Lebens, denn bei unserer Mutter wurde neurodegenerative Krankheit diagnostiziert und uns wurde schnell klar, dass wir sie würden pflegen müssen, bis sie stirbt. Etwa in jener Zeit schickte uns eine britische Produktionsfirma eine DVD von „Das Festmahl im August“ und fragte, ob wir diese Geschichte nicht adaptieren wollen. Das kam aus heiterem Himmel, erwies sich aber letztlich als idealer Weg für uns, aus unserer Trauer heraus etwas über unsere Mutter schreiben zu können, nur eben auf humorvolle und erbauliche Weise.
Gab es schon damals, als Sie beide wieder zuhause einzogen, um Ihre Mutter zu pflegen, bereits Momente, in denen Sie darüber nachdachten, diese Erfahrungen filmisch zu verarbeiten? Oder braucht es dafür zeitlichen Abstand?
Colin: Gute Frage, und irgendwie stimmt beides als Antwort. Darren und ich sind Geschichtenerzähler, deswegen denke ich schon, dass wir alles, was wir erleben, irgendwie narrativ einordnen und reflektieren. Aber konkrete Erlebnisse speichert man in seinem Gehirn vermutlich doch erst einmal für später ab, weil man viel zu im Moment und den Emotionen steckt, um darüber nachdenken zu können, wie sich das vielleicht in eine Story integrieren lässt.
Darren: Ich erinnere mich auf jeden Fall daran, wie wir mittendrin steckten in dieser Pflegeerfahrung und ich mich fragte, warum mich eigentlich niemand vorgewarnt hatte, was für ein chaotischer Irrsinn da auf uns zukommt. Unsere Umstände waren damals schon besonders extrem, aber ich ertappte mich ständig dabei, dass ich nicht nur überwältig war von so viel Wahnsinn, sondern gleichzeitig auch das Gefühl hatte, mich mitten in einer Komödie zu befinden, weil immer noch etwas und noch etwas passierte. Es gab Situationen, die so absurd waren, dass ich sie im Kino eigentlich als unrealistisch abgetan hätte.
Darren, Sie sind heterosexuell, Colin, Sie sind schwul. Wie fiel die Entscheidung, einen queeren Mann zum Protagonisten von „Vier Mütter von Edward“ zu machen?
Colin: Darüber mussten wir gar nicht groß diskutieren. Nicht dass nicht auch die Beziehung zwischen einem Mittvierziger-Hetero und seiner Mutter komplex und spannend sein kann. Aber gerade die zwischen einem schwulen Mann und seiner Mutter gibt erzählerisch oft besonders viel her.
In welcher Hinsicht?
Colin: Ich vermute mal, dass die meisten Schwulen in meinem Alter noch irgendeine Form von Trauma oder nicht aufgearbeiteten Erfahrungen von ihrem Coming-Out mit sich herumtragen. Selbst wenn Verletzungen geheilt sind und man ein gutes Verhältnis zu den Eltern hat, schwelt bei vielen noch das eine oder andere nach, was sich in der Jugend zugetragen hat. Gleichzeitig feiert kaum jemand seine Mütter so sehr wie schwule Männer. Ich liebe es, wenn ich sonntags in Dublin zum Gay Bingo gehe und der halbe Saal hat seine Mütter dabei. Aber diese Beziehung kann eben beide diese Seiten haben, und diese Komplexität ist dann besonders spannend, wenn man sich plötzlich in der Situation wiederfindet, rund um die Uhr die eigene Mutter pflegen zu müssen.
Darren: Auch für mich war von Anfang an offensichtlich, dass die Geschichte mit einem schwulen Sohn ungleich vielschichtiger und interessanter wird. Vielleicht auch, weil ich hautnah miterlebt habe, wie du damals deine kleine Existenzkrise hattest und fürchtetest, nie einen Ehemann zu finden, wenn du nur mit unserer Mutter beschäftigt bist. Oder weil es in unserem Freundeskreis viele schwule Männer gab, die sich – in unterschiedlicher Weise – um ihre Mütter kümmerten, und mir der Gedanke gefiel, wie die sonntags alle in der Kirche in der letzten Reihe sitzen und sich über ihre Pflegeerfahrungen austauschen.
Bereits in Ihrem ersten Film „A Date For Mad Mary“ war die Protagonistin eine junge queere Frau …
Darren: In beiden Fällen war es nicht unser Gedanke, etwas über Queerness zu erzählen oder dezidiert eine nicht-heterosexuelle Perspektive zu zeigen. Vielmehr waren wir uns bei beiden Filmen sicher, dass die Geschichten mit diesen Protagonist*innen noch interessanter und lebendiger werden.
Andere Filmemacher*innen schrecken aber genau davor eher zurück, weil sie Angst haben, in eine Schublade gesteckt zu werden oder durch das Label „Queer Film“ einen Teil des Publikums zu verlieren.
Colin: Ganz ehrlich, darüber zerbrechen wir uns nicht allzu sehr den Kopf. Die erste Frage ist ja schon mal, wie man überhaupt einen queeren Film definiert. Darren und mir geht es darum, persönliche Geschichten zu erzählen, die universell ansprechend sind. Manchmal stehen dabei queere Figuren im Zentrum, manchmal nicht.
Darren: Es ist aber auch interessant, wie sehr gerade dieser Aspekt immer wieder thematisiert wird. Sicherlich auch im Kontext des beängstigenden Rückschritts Richtung Konservatismus, den wir gerade erleben. Wir haben zum Glück noch keinerlei Widerstand in Sachen Queerness erlebt, wenn es darum ging, unsere Filme zu finanzieren. Aber ich höre immer wieder, dass es aktuell gerade auch bei Streamingdiensten ein großes Zögern gibt, wenn es darum geht, queere Geschichten zu erzählen. Das hätte ich mir vor ein paar Jahren nie vorstellen können.
Womit wir aber auch wieder bei der Definitionsfrage sind, oder?
Colin: Ich hoffe, es ist eben nicht der Eindruck entstanden, wir würden uns dagegen sträuben, dass „Vier Mütter für Edward“ als queerer Film beschrieben wird. Denn beim Schreiben hatten wir immer auch das LGBTQ-Publikum vor Augen. Es gab enorm viele Szenen und Momente im Drehbuch, bei denen ich von Anfang an hoffte, dass gerade queere Zuschauer*innen sich darin wiederfinden und sie lustig finden würden. Wenn diese Menschen also finden, dass die Beschreibung Queer Film hier passt, dann macht uns das mehr als glücklich. Aber ich habe auch schon von anderen, gerade auch queeren Kollegen gehört, dass ihnen der Film nicht queer genug ist. Weil die sexuelle Identität zu wenig im Fokus steht und es zum Beispiel keine Sexszene gibt. Letzteres habe ich angesichts der Mutter-Sohn-Thematik nicht unbedingt für nötig befunden. Aber so oder so: auch diese Meinung ist in Ordnung. Denn wie gesagt: wir erzählen einfach unsere Geschichten, die zugehörigen Beschreibungen überlassen wir anderen.
*Interview: Patrick Heidmann