Foto: BROADVIEW Pictures
UK-Trainer Matt Morton (Mitte) und seine Mannschaft
Hier ist unser Interview zum im Dokumentarfilm „Das letzte Tabu“ mit dem queeren Aktivisten.
Herr Hitzlsperger, seit Ihrem Coming-out vor zehn Jahren sind Sie immer der Erste, der zum Thema Homosexualität im Männerfußball befragt wird. So jetzt auch im Dokumentarfilm „Das letzte Tabu“, der ab dem 13.2. bei Prime Video zu sehen ist. Sind Sie hin und wieder davon auch mal genervt? Nein, denn erst einmal bin ich sehr froh, wie bei mir alles gelaufen ist. Mein Anliegen war immer, nach dem Coming-out öffentlich darüber zu sprechen und anderen Menschen klarzumachen, dass eine solche Erfahrung nicht unbedingt so schlimm ist, wie man sie sich womöglich ausmalt. Ich hatte damals auch Sorgen und teilweise Ängste, wie sich mein Leben durch diesen Schritt verändern wird. Doch nachdem ich mich schließlich getraut habe, konnte ich feststellen, dass das fast komplett unbegründet war. Deswegen möchte ich seither auch andere ermutigen.
Gleichzeitig spricht es natürlich Bände, dass auch heute Sie in der Regel der erste und meist einzige Experte sind, der bei dem Thema als Gesprächspartner auftritt. Das ist richtig. Mit Blick auf den Fußball hat sich in dieser Hinsicht in den zurückliegenden zehn Jahren nicht viel getan.
Enttäuscht Sie das? Haben Sie damals gedacht, dass wir zehn Jahre später weiter sind? Na ja, ich war natürlich gespannt, was passieren würde. Aber solche Überlegungen blieben eben immer Spekulationen, auch wenn andere mir prophezeiten, dass meine Entscheidung damals große Veränderungen auslösen könnte. Gleichzeitig kann man den Fußball auch nicht isoliert betrachten, sondern muss immer sehen, in welcher Gesellschaft wir uns gerade befinden und wie die Welt sich in den letzten Jahren verändert hat. Ich selbst habe zwar wirklich viele tolle Erlebnisse gehabt und viel Gutes zu berichten, aber dennoch ist die gesellschaftliche Gesamtlage bei uns nun einmal nicht so, dass sich alles nur verbessert hat. Im Gegenteil ist die Entwicklung mit Blick auf die politische Situation ja aktuell bedenklich.
Haben Sie je bereut, sich nicht schon als aktiver Spieler geoutet zu haben?
So, wie ich es damals gemacht habe, war das für mich ganz persönlich richtig, das muss ich auch im Rückblick noch sagen. Ich brauchte die Zeit, um selbstbewusst genug zu werden und mit der Aufmerksamkeit umgehen zu können. Es ist nicht so, dass ich es nicht gerne früher getan hätte. Ich war schon neugierig, wie es gewesen wäre, danach das erste Mal wieder in die Kabine zu gehen oder auf dem Platz zu stehen. Aber ich war für diesen großen Schritt einfach noch nicht bereit. Wer weiß also, ob es nicht sogar einen Schaden angerichtet hätte, wenn ich meinem ersten Impuls schon 2012 gefolgt wäre. Nun kann ich also leider nichts darüber sagen, wie Mitspieler, Fans und Medien in Deutschland über einen aktiven schwulen Spieler urteilen. Dennoch blicke ich zurück und kann sagen, dass ich alles richtig gemacht habe. Denn mir geht es gut – und das ist bei einer solchen Entscheidung das Allerwichtigste. Nur so kann ich schließlich auch anderen helfen.
Inzwischen gibt es immerhin im Profifußball, so heißt es in „Das letzte Tabu“, weltweit sieben geoutete Spieler. Viel ist das nicht … Klar kann man sagen: Das ist ja ganz schön wenig. Trotzdem ist meine Bilanz der vergangenen zehn Jahre nicht negativ. Die Vereine zum Beispiel sind heute sehr viel klarer darin, sich zu positionieren. Vielfalt wird öffentlich viel mehr beachtet und diskutiert. In der Ersten und Zweiten Bundesliga hat fast jeder Club mindestens einen schwul-lesbischen Fanclub. Die Fortschritte sind wirklich nicht von der Hand zu weisen. Doch ich stelle immer wieder fest, dass der persönliche Schritt, sich zu outen, eben nicht ausschließlich mit dem Fußball-Business zu tun hat, denn auch von den unzähligen Ex-Spielern traut sich ja keiner. Es ist also scheinbar eher so, dass Homosexuelle ganz generell in unserer Gesellschaft Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung haben, nicht nur im Profi-Fußball.
Das stimmt. Geoutete männliche Tennisspieler gibt es zum Beispiel gar keine! Das gilt für die meisten Sportarten, wenn ich etwa an die gerade zu Ende gegangene Handball-EM denke oder an die deutschen Basketballer, die zuletzt Weltmeister wurden. Keine Frage, im Profifußball ist das Thema Homosexualität tabuisiert. Aber er ist in unserer Gesellschaft längst nicht der einzige Bereich. Es mag zwar inzwischen ein paar mehr schwule Politiker und Popstars geben, aber auch da sind längst nicht alle geoutet. Von der Kirche ganz zu schweigen. Das Problem ist also nicht allein der Fußball, sondern ich bleibe dabei: In unserer Gesellschaft muss jeder damit rechnen, ausgegrenzt zu werden, der vom Mainstream abweicht.
Weil Sie gerade die Vereine angesprochen haben: Wie zufrieden sind Sie denn mit den großen Dachverbänden, also etwa den DFB? Man muss bei diesen großen Organisationen genau hinsehen und nicht alles über einen Kamm scheren. Ich bin zum Beispiel Teil des DFB, als Botschafter für Vielfalt, und die Leute, mit denen ich da zu tun habe, sind engagiert und pro Vielfalt. Die nehmen das Thema ernst und wissen, wie wichtig es ist. Dass die Spitze der Nationalmannschaft der Männer nach den Ereignissen bei der WM in Katar beschlossen hat, sich um diese Themen erst einmal nicht mehr zu kümmern, sondern nur noch auf den Sport zu konzentrieren, dominiert natürlich die Außenwahrnehmung. Aber ich weiß, dass es innerhalb des Verbandes unglaublich viele Menschen gibt, die anders denken. Deswegen bin ich dagegen, den DFB pauschal zu verurteilen.
Gibt es eigentlich inzwischen eine Art LGBTQ-Netzwerk in der Fußballbranche? Oder eine Anlaufstelle für Spieler, die diesbezüglich Beratung brauchen? Der DFB hat tatsächlich eine Anlaufstelle, an die man sich wenden kann. Und ich meine auch, dass man heutzutage genügend Möglichkeiten hat, Verbündete zu finden. Ich habe nie den Versuch unternommen, alle schwulen Fußballer zu kontaktieren oder herauszufinden, wer die sind. Mein Bestreben war einfach, öffentlich immer klar zu sagen, was mir wichtig ist, vor allem, dass mit Klischees aufgeräumt wird. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass ich auf meinem Weg gute Erlebnisse hatte und in der Welt des Fußballs bis heute noch einen Platz habe. Mut machen, dass die Realität oft besser und einfacher ist als die Ängste, die man vorher hat. Und nach außen sichtbar sein und schwulen Fußballern ein Gesicht geben, damit die Leute nicht einfach denken, es gibt gar keine.
Bei Ihnen gemeldet hat sich niemand? Nein, ich kenne persönlich keinen ungeouteten Spieler, auch wenn ich mir sicher bin, dass es welche geben muss. Jeder muss sich sein Umfeld selber auswählen und Vertrauen aufbauen, weswegen ich auch nie jemanden zu diesem Schritt drängen würde. Aber ich habe zuletzt öfter vernommen, dass sich wohl etwas tut und demnächst einige Spieler ein Coming-out planen.
Ohne zu viel zu spekulieren: Was denken Sie, wovor ein schwuler Spieler heutzutage am meisten Angst hat? Womöglich sogar genau die Aufmerksamkeit, die Ihnen seit zehn Jahren entgegengebracht wird? Die suche ich ja durchaus freiwillig. Dass es auch anders geht, zeigt der tschechische Spieler Jakub Jankto, der in Italien in der Serie A spielt und um den es auch in „Das letzte Tabu“ geht. Der hat sich vergangenes Jahr mit einem Video geoutet und sich seither kaum mehr zu dem Thema geäußert. Die Botschaft ist raus, aber alles, was er möchte, ist Fußball spielen. So geht das auch, niemand ist gezwungen, ständig Auskunft zu erteilen. Was die möglichen Sorgen angeht, kann ich also nur davon ausgehen, was mich damals beschäftigte.
Nämlich? Ich wollte nicht plötzlich mehr Aufmerksamkeit bekommen als der ganze Rest der Mannschaft. Und natürlich habe ich mich gefragt, was in der Kabine passiert. Wie reagieren die anderen Spieler – und was mache ich, wenn sich jemand unwohl fühlt? Auf keinen Fall wollte ich das ganze Gleichgewicht in der Mannschaft durcheinanderbringen. Diese Verantwortung hat mich am meisten abgeschreckt. Außerdem befand ich mich damals in einer Phase meiner Karriere, wo ich nicht mehr absoluter Leistungsträger war. Ich war nicht mehr in Bestverfassung und wollte nicht, dass man es mit meiner Homosexualität in Verbindung bringt, wenn ich schlecht spiele oder verletzt bin.
*Interview: Patrick Heidmann
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