Motel Destino
Gleich mit seinem ersten Film sorgte Karim Aïnouz, 1966 als Sohn einer Brasilianerin und eines Algeriers im Bundesstaat Ceará geboren, für Furore: Seine Dragqueen-Geschichte „Madame Satã“ feierte 2002 Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes. Seither ist der Regisseur Dauergast auf den großen Festivals der Welt, sei es mit dem schwulen Selbstfindungs- und Beziehungsdrama „Futuro Beach“ mit Wagner Moura und Clemens Schick, dem preisgekrönten „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ oder einem von Wim Wenders produzierten Dokumentarfilm wie „Kathedralen der Kultur“. Nun meldet er sich mit dem Erotikthriller „Motel Destino“ zurück, der ab dem 14.11. in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Herr Aïnouz, es ist erst ein Jahr her, dass Ihr Film „Firebrand“ (als VoD erhältlich) mit Jude Law und Alicia Vikander Premiere hatte. Wie kommt es, dass Sie mit „Motel Destino“ nun direkt schon den nächsten vorlegen? Eigentlich wollte ich „Motel Destino“ schon viel früher drehen. Das Drehbuch schrieb ich 2016, und ein Jahr später stand auch bereits ein Großteil der Finanzierung. Mein Plan war damals, die Region, in der ich aufgewachsen bin, auf die Leinwand zu holen: den Nordosten Brasiliens. Und ich wollte einen Film drehen, der im Sonnenschein und in der Hitze spielt, voller Sex und Jugend, der etwas über Grenzüberschreitungen erzählt. Doch dann kam in Brasilien bekanntermaßen ein Faschist an die Macht.
Sie meinen Jair Bolsonaro, der 2018 zum Präsidenten gewählt wurde. Genau. Mit ihm änderte sich die gesamte Kulturlandschaft in Brasilien, die Filmförderung wurde gestoppt, längst geschlossene Verträge wurden aufgelöst. Damit war auch mein Film erst einmal gestorben. Ich wollte mit dieser Regierung nicht das Geringste zu tun haben, deswegen schien es mir undenkbar, weiterhin in Brasilien zu drehen. Also konzentrierte ich mich auf „Firebrand“ und andere internationale Projekte. Doch als ich den Film 2023 in Cannes vorstellte, war die Situation plötzlich eine andere. Der linksorientierte Lula war zurück an der Macht, und mit ihm floss auch wieder Geld für Filme und andere Kulturprojekte. Mit einem Mal schien „Motel Destino“ wieder umsetzbar zu sein. Und ich verspürte eine enorme Sehnsucht, wieder mal in meiner Heimat zu arbeiten. Also flog ich direkt von Cannes nach Brasilien und begann damit, in Windeseile den Film auf die Beine zu stellen. Ich war lange nicht mehr so aufgeregt bei der Arbeit wie bei „Motel Destino“.
Warum das? Irgendwie fühlte es sich plötzlich wieder so an, als würde ich zum ersten Mal einen Film drehen. Das war wie ein Neuanfang, für Brasilien und für mich. Außerdem gab es mit „Motel Destino“ die Chance, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich schon länger reizten. Ich wollte mich von der Realität lösen und mit Fantasy-Elementen, Träumen und dem Unwirklichen spielen. Schon in meinem Dokumentarfilm „Mariners of the Mountain“ ging es um Träume und Erinnerungen und ich versuchte, Bilder dafür zu finden. Damit wollte ich unbedingt weiterexperimentieren.
Sex spielt ebenfalls eine große Rolle in „Motel Destino“. Keine Selbstverständlichkeit dieser Tage, denn Erotik und Lust scheinen sich aus dem Kino immer mehr zu verabschieden. Wollten Sie da bewusst gegensteuern? Ja, bis zu einem gewissen Grad war das tatsächlich meine Absicht. Ich bin wirklich überrascht, wie viele Berührungsängste es heutzutage in Sachen Sexszenen gibt, und zwar sowohl bei meinen Kolleginnen und Kollegen als auch beim Publikum. Wann hat diese Entwicklung begonnen? Und warum? Denn das Begehren ist doch eigentlich die Grundlage des Filmemachens. Wo wäre das Kino ohne den Sex und die Liebe? Außerdem ist Sex doch etwas ganz Alltägliches. Er gehört zum Leben dazu wie die Dusche am Morgen.
Nun, nicht jeder Mensch hat so regelmäßig Sex … Stimmt. Aber auch nicht jeder Mensch isst morgens vor der Arbeit Frühstück – und trotzdem sehen wir das gefühlt in jedem Film. Was ich nur sagen will: Für mich ist Sex eine Selbstverständlichkeit und hat nichts mit Schuld oder Scham zu tun, sondern mit Spaß. Ich bin ein sehr sex-positiver Mensch.
Finden Sie das Drehen von Sexszenen schwieriger als andere? Nicht wirklich, was aber vor allem daran liegt, dass ich da gar keinen Unterschied mache. Eine Sexszene ist für mich eine Szene wie jede andere, denn sie erfüllt in meinen Filmen auch den gleichen Zweck wie jede andere Szene: Sie erzählt uns etwas über die Figuren und ihr Verhältnis zueinander. Es geht ja nicht bloß um den Sex. Wenn ich Menschen beim Vögeln zugucken will, kann ich ins Internet gehen und irgendeinen Porno anklicken. In einem Spielfilm ist Sex ein narratives Werkzeug. Und zwar ein ausgesprochen wirkungsvolles, denn wie könnte ich effektiver etwas über die Zu- oder auch Abneigung zweier Personen zueinander erzählen als über das intime Miteinander ihrer Körper?
So sehr Brasilien Ihre Heimat ist, leben Sie doch schon lange in Berlin. Wie kommt es, dass Ihre Filme trotzdem nie in Deutschland spielen? Nie stimmt nicht. Teile von „Futuro Beach“ habe ich dort gedreht, und natürlich auch den Dokumentarfilm „Zentralflughafen THF“. Aber ich bin vermutlich bis heute nicht komplett mit der deutschen Seele, der deutschen Kultur verbunden. Was natürlich auch daran liegt, dass Berlin sehr viel internationaler ist als Deutschland allgemein. Was ich dort in meiner sehr durchmischten Nachbarschaft in Kreuzberg erlebe, ist eher kosmopolitisch als typisch deutsch.
Warum leben Sie lieber dort als in Brasilien? Ich war schon immer unterwegs und irgendwie auf der Flucht, vermutlich weil ich mich in Brasilien nie hundertprozentig zugehörig gefühlt habe. Vielleicht wegen meines Namens und meiner algerischen Wurzeln. Oder wegen meiner Homosexualität. Berlin war dann der erste Ort auf der Welt, an dem ich gespürt habe: Hier gehöre ich hin. Die Stadt ist meine liebste überhaupt; ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, jemals wegzuziehen. Das Berlin, das ich erlebe, ist so, wie ich mir die Zukunft immer vorgestellt habe, nur im Hier und Jetzt. Eines Tages will ich wirklich auch mal einen kompletten Spielfilm dort oder überhaupt in Deutschland drehen. Bis dahin ist die Fotografie für mich die Brücke zwischen meiner Arbeit und meinem Zuhause. Deswegen war es mir auch so wichtig, im Frühjahr 2024 endlich mal meine Fotos in einer Ausstellung zu zeigen.
*Interview: Jonathan Fink www.instagram.com/KarimAinouz
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