Foto: TOBIS Film
Kate Winslet
Die queere Liebesgeschichte spielt im 19. Jahrhundert
Dreißig Jahre ist es her, dass Kate Winslet ihre Karriere als Teenager im britischen Fernsehen begann. Der Durchbruch kam 1994 mit „Heavenly Creature“, gefolgt von „Sinn und Sinnlichkeit“ und natürlich „Titanic“. Später war die Engländerin in Filmen wie „Iris“, „Vergiss mein nicht!“, „Little Children“ oder „Contagion“ zu sehen, für „Der Vorleser“ wurde sie mit dem Oscar ausgezeichnet. Nun spielt sie eine der beiden Hauptrollen im Historienfilm „Ammonite“ (voraussichtlich ab dem 21. Januar in deutschen Kinos), dem neuen Werk des schwulen Regisseurs Francis Lee („God’s Own Country“). Wir konnten die 45-Jährige anlässlich dieser lesbischen Liebesgeschichte via Zoom interviewen.
Miss Winslet, Sie spielen in „Ammonite“ die Fossiliensammlerin Mary Anning, die es wirklich gegeben hat. Wie viel wussten Sie über diese Frau?
Den Namen Mary Anning hatte ich zwar schon gehört, aber eigentlich wusste ich kaum etwas über sie. Vor allem hatte ich keine Ahnung, was sie letztlich aus wissenschaftlicher Sicht alles geleistet hat. Ich musste ordentlich recherchieren, was natürlich dadurch erschwert wurde, dass über sie längst nicht so viel geschrieben wurde wie über ihre männlichen Zeitgenossen.
Wie haben Sie sich denn auf die Rolle vorbereitet?
Sie meinen, außer dass ich wochenlang an den Stränden Südwestenglands nach Fossilien gesucht und Steine aufgeklopft habe? Ich hatte glücklicherweise Zugang zu ein paar ihrer echten Tagebücher. Das fand ich enorm hilfreich, schon weil ich mir größte Mühe geben wollte, ihre Handschrift so gut wie möglich zu kopieren. Vor allem aber fand ich es wichtig zu sehen, welch enge Beziehungen Mary zu den Frauen in ihrem Leben pflegte. Sie hat nie aufbegehrt gegen das patriarchale Gesellschaftssystem, in dem sie gefangen war, und hat immer akzeptiert, dass ihre wissenschaftliche Brillanz nie so anerkannt wurde wie die von Männern. Da war sie bemerkenswert geduldig und klaglos. Aber gleichzeitig waren immer andere Frauen ihre engsten Vertrauten und Verbündeten.
Im Film entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen Anning und der jüngeren Charlotte Murchison. Die ist aber nicht verbürgt, oder?
Nein, sicher ist nur, dass Mary mit Charlotte und ihrem Mann befreundet war. Vieles spricht auch dafür, dass sie die beiden in London besucht und eine Weile bei ihnen gewohnt hat. Wobei sie wohl in ihrem ganzen Leben ihren Küstenort nur zweimal verlassen hat und nach London gefahren ist. Auch in „Ammonite“ ist der Aufbruch in die Großstadt für sie eigentlich eine viel größere Sache als die intime Beziehung zu Charlotte. Letztere ist viel eher eine Selbstverständlichkeit.
Angeblich haben Sie die Rolle sofort angenommen, nachdem Sie das Drehbuch gelesen hatten. Entscheiden Sie sich immer so impulsiv?
Kann man so nicht unbedingt sagen. Obwohl ich viele meiner beruflichen Entscheidungen schon recht instinktiv treffe, aus dem Bauch heraus. Im Fall von „Ammonite“ merkte ich einfach gleich, dass ich es schwer aushalten würde, jemand anderen in dieser Rolle zu sehen. Ich fühlte sofort Besitzansprüche dieser Mary Anning gegenüber. Und ich hatte einfach noch nie so ein Drehbuch gelesen.
Sie meinen die Liebesgeschichte dieser beiden Frauen?
Ja, auch. Ich finde es sehr wichtig, LGBTQ-Geschichten stärker in den Mainstream zu holen, und die zarte, wunderschöne Romanze zwischen Mary und Charlotte ist wirklich etwas Besonderes. Nicht zuletzt, weil sie ohne Zögern, Geheimhaltung oder Angst auskommt. Es wäre doch toll, wenn das Publikum häufiger Geschichten über Menschen aus der LGBTQ-Community und ihre Beziehungen im Kino zu sehen bekommt. Und vor allem möglichst verschiedene. Unserem Regisseur Francis Lee ist da wirklich etwas sehr Spezielles gelungen, und mir war es eine große Ehre, ein Teil dieser tollen Geschichte zu sein.
Die Sexszenen haben Sie und Ihre Kollegin Saoirse Ronan selbst choreografiert. Was war Ihnen dabei wichtig?
Wir sind nun einmal beide Frauen, deswegen lag es nahe, dass wir die intimen Momente zwischen zwei Frauen in die eigenen Hände nehmen. Wir wollten, dass diese Szenen wirklich authentisch aussehen und diesen Frauen und ihrer Geschichte wirklich gerecht werden. Uns ging es um Leidenschaft auf Augenhöhe, zwischen zwei Menschen, die eine echte Verbindung zueinander spüren. Vor allem wollten wir nicht, dass diese Sexszenen irgendwie reißerisch oder plakativ wirken. Viel zu oft fehlt solchen Szenen zwischen zwei Frauen oder zwei Männern die Selbstverständlichkeit und Normalität, mit der heterosexuelle Sexszenen gedreht werden. Da wollten wir gegensteuern. Nicht dass unser wunderbarer Regisseur Francis Lee, der uns immer unglaublich viel Vertrauen entgegenbrachte und ein Gefühl von Sicherheit schuf, das irgendwie auf fragwürdige Weise gemacht hätte. Aber es war wirklich eine schöne Erfahrung, gemeinsam mit Saoirse in diesem Fall selbst die Zügel in der Hand zu haben.
Mit etwas Glück gehen Sie mit „Ammonite“ mal wieder ins Rennen um den Oscar. Gewonnen haben Sie den wichtigsten Filmpreis der Welt ja schon 2009. Sind Ihnen solche Ehrungen also überhaupt noch wichtig?
Oh, glauben Sie mir, solche Preise sind für uns Künstler immer wichtig. Und etwas ganz Wundervolles. Davon träumt man natürlich. Selbst wenn man schon so lange dabei ist wie ich und bei vielen solcher Veranstaltungen dabei war, hat man das nie über. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie die Oscar-Verleihung und all die anderen Events dieser Art in den Wochen davor 2021 stattfinden und aussehen werden. Aber gerade im Moment ist es doch wichtiger denn je, künstlerische Leistungen zu feiern und stolz auf unsere Branche zu sein. Wenn wir mit „Ammonite“ ein kleiner Teil davon sein können, würde mich das sehr freuen.
*Interview: Jonathan Fink