Foto: MUBI
Mit den schwedischen Filmen „Katinkas kalas“ und „Zirkel“ begann Levan Akin seine Karriere, bevor er mit „Als wir tanzten“ seinen georgischen Wurzeln nachspürte und den internationalen Durchbruch feierte. Die Geschichte eines Tänzers, der sich in seinen Konkurrenten verliebt, wurde beim Filmfestival in Cannes gezeigt, war Schwedens Oscar-Anwärter und bekam zwei Nominierungen für den Europäischen Filmpreis. Nun legt der schwule Regisseur seinen neuen Film „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ vor, der auf der Berlinale von der Teddy-Jury ausgezeichnet wurde und ab dem 18.7. in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Herr Akin, Sie sind gebürtiger Schwede, Ihre Eltern stammen aus Georgien. Dort beginnt auch Ihr neuer Film „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“, bevor sich die Handlung nach Istanbul verlegt. Haben Sie auch einen Bezug zur Türkei? Meine Eltern sind zwar aus Georgien, wurden aber beide in der Türkei geboren. Nicht in Istanbul allerdings, sondern näher am Schwarzen Meer. Es gibt in der Türkei eine ziemlich große georgische Diaspora, rund eine Million Menschen. Viele Georgier sind früher unter Stalin dorthin geflüchtet. Bis heute habe ich also Verwandtschaft dort, auch in Istanbul.
Welche Auswirkung haben die sehr unterschiedlichen Wurzeln und Einflüsse, die Sie in sich vereinen, auf Ihre Arbeit als Regisseur? Die Frage, ob ich mich als schwedischer oder als georgischer Filmemacher verstehe, kann ich nie wirklich beantworten. Ich komme von überall und nirgends, und so richtig zuhause fühle ich mich nirgends. In Schweden stellt man mir immer die Frage, wo ich denn nun wirklich herkomme, aber auch in Georgien bin ich natürlich nie ein Einheimischer. Das ist schon ein seltsames Gefühl. Kein Wunder also, dass ich in meinen Filmen immer wieder von Außenseitern und Menschen am Rand der Gesellschaft erzähle. Das war in „Als wir tanzten“ so und ist nun auch in „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ der Fall. Die Protagonistin Lea, die nach Istanbul fährt, um ihre Nichte zu finden, ist ebenso eine Außenseiterin, wie der junge Nachbar Achi, der sie spontan begleitet.
Die Nichte Tekla, nach der die beiden suchen, ist eine junge trans Frau, weswegen Lea und Achi in Istanbul auch mit der Trans-Community in Berührung kommen und die Anwältin Evrim kennen lernen, die sich über ebendiese einsetzt. Wie entstand diese Geschichte? Anfangs war es gar nicht mein Ziel, einen Film über trans Menschen zu drehen. Mein Ausgangspunkt war diese eigenwillige Lehrerin im Ruhestand, von der ich erzählen wollte. Bei meinen Recherchen stieß ich dann auf die Geschichte eines älteren Herren in Georgien, der zum größten Unterstützer seines trans Enkelkinds wurde. Das hat mich sehr gerührt. Und überhaupt hatte ich im Zuge von „Als wir tanzten“, der in Georgien mit seiner schwulen Geschichte auf einigen Gegenwind stieß, dass es durchaus viele Menschen älterer Generationen gibt, die hinter ihren LGBTQ+-Kindern und -Enkeln stehen. Es ist nicht so, dass nur die jungen Menschen progressiv und tolerant sind. Deswegen wollte ich wirklich gerne eine Geschichte über eine ältere Frau erzählen, die sich um eine trans Person in ihrer Familie sorgt.
Trotzdem stellen Sie diese trans Person nicht ins Zentrum des Films … Das hätte mir nicht wirklich zugestanden, schließlich bin ich selbst cis und habe entsprechend eine andere Perspektive. Deswegen fand ich es angemessener, mich dieser Community von außen zu nähern, genau wie meine beiden Hauptfiguren. Auch deswegen habe ich die Figur des Achi in die Geschichte eingebaut, der ebenfalls ein Außenseiter ist, der zuhause unter seinem Bruder leidet und ausbrechen will ausbrechen aus den Strukturen seiner georgischen Provinzheimat. Genau wie Lia und alle anderen Menschen, die „Crossing“ zeigt, ist auch er jemand, der unter dem Patriarchat leidet.
Das Ergebnis ist nun ein Film, der deutlich weniger tragisch verläuft, als man es anfangs vermuten könnte. Ja, weil ich es leid bin, Filme zu sehen, in denen immer nur Schreckliches passiert. Das meine ich gar nicht nur mit Blick auf queere Geschichten oder solche über trans Menschen, sondern ganz allgemein. Wir befinden uns in so düsteren, schrecklichen Zeiten, dass ich es für mich wichtig fand, etwas Realistisches, aber Hoffnungsvolles und Freundliches zu erzählen. Mein Film ist einer über Inklusion, Mitgefühl und Solidarität.
Ihre wunderbare Hauptdarstellerin Mzia Arabuli ist eine erfahrene Schauspielerin, aber Sie haben auch viele Laiendarsteller*innen vor die Kamera geholt. Funktioniert diese Kombination immer? Ich finde das immer besonders spannend. Bei „Als wir tanzten“ habe ich genauso gearbeitet. Um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, inszeniere ich ja auch immer wieder Episoden verschiedener Fernsehserien, da habe ich es natürlich immer nur mit Vollprofis zu tun. Aber bei meinen eigenen Filmen ist es mir ein Anliegen, anders zu arbeiten. Ich liebe die Arbeit mit realen Menschen, die noch nie vor einer Kamera standen. Für mich als Regisseur ist es aufregend, Momente zu entdecken, die nicht bis ins Letzte durchgeplant sind. Natürlich bin ich kein Dokumentarfilmer, sondern denke mir meine Geschichten aus und bereite die Szenen entsprechend vor. Doch es gibt in „Crossing“ viele Momente, etwa in einer Arztpraxis oder auf der Polizeiwache, in denen ich einfach neugierig beobachtet habe, was passiert.
Wo Sie gerade Ihre Serien-Arbeit erwähnen: wie haben Sie nach dem Erfolg von „Als wir tanzten“ entschieden, was als nächstes kommt? Das war gar nicht so einfach. Es gab durchaus einige Angebote aus den USA, aber ich wusste schon, dass ich unbedingt „Crossing“ drehen wollte. Allerdings musste ich, wie gesagt, auch Geld verdienen. Deswegen erschien es mir ein guter Kompromiss, einzelne Serien-Folgen zu inszenieren. Mein Glück war, dass eine der Serien, die auf meinem Tisch landete, „Interview With the Vampire“ war – und ich ein großer Fan der Romane von Anne Rice bin. Der erste war eines der ersten Bücher mit schwuler Geschichte, die ich in meiner Jugend gelesen habe. Ich habe zwei Folgen der ersten und dann vier der zweiten Staffel inszeniert. Für mich ein großes Glück, denn die Serie ist wirklich gut, das Ensemble super und die Autor*innen verdammt smart. Was für eine Freude, dass es im Hollywood-System manchmal Fälle wie diesen gibt, wo man gut bezahlt wird und trotzdem etwas Kunstvolles schaffen kann. Das habe ich in Schweden so noch nicht erlebt.
*Interview: Patrick Heidmann
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