Foto: S. Kraushaar
Ralf König
„Als Edmund Stoiber Bundeskanzler werden wollte, haben wir als Kammerjägergruppe noch die Passanten ‚entstoibert‘, da kamen Politik und Fun zusammen ... “
Gehe ich dieses Jahr hin oder lass ich’s bleiben? O. K., womöglich gehe ich wieder, treffe mich mit meinen üblichen Verdächtigen irgendwo im Gewusel und guck mir mit wohlwollender Lustlosigkeit das regenbogenbunte Wandervolk an. Mein wievielter CSD mag es sein? Anfang der neunziger Jahre, 30-jährig gerade in Köln gestrandet, tanzten ein paar halb nackte Kerle bei brütender Julihitze auf nur 300 Metern Feiermeile zwischen der Lederkneipe Chains (Gott hab sie selig) und der Vulcano Sauna (Gott seligt immer noch), und die Hausbewohner gossen aus den Fenstern Eimer kalten Wassers runter auf die Ausgelassenen – zur Erfrischung, nicht zur Vertreibung.
Im Folgenden potenzierte sich Jahr auf Jahr die Teilnehmerzahl, der CSD wurde zum spektakulären Jahreshöhepunkt! Ein supergeiler Mega-Spaß, und ich bewinselte vorfreudig schon Wochen vorher das Schicksal, dass das Wetter bitte mitspielen möge! Dann eines Jahres das Befremden, als das Straßenfest auf Heu- und Alter Markt plötzlich nicht mehr ausschließlich mit intern schwul-lesbischen Info- und Getränkeständen bestückt war, sondern ausgestattet von deutlich heterosexuellen Großveranstaltungsversorgern, die mit teilnahmslosen Gesichtern Currywurst und bunte Wodka-Bowlen feilboten wie auf jedem x-beliebigen Jahrmarkt.
Immerhin: Als Edmund Stoiber Bundeskanzler werden wollte, haben wir als Kammerjägergruppe noch die Passanten ‚entstoibert‘, da kamen Politik und Fun zusammen, so soll das sein. Nicht so wie Jahre später die heterosexuellen Ordner, die uns während der Demo grob an den Schultern packten und rabiat auf den Gehweg zurückschoben, weil wir aus Versehen vor dem Red-Bull-Wagen zu demonstrieren wagten! Denn das war Werbefläche für zwei superschöne Glitzermodels, die für das Gummibärchengesöff schauliefen! Stinksauer bin ich damals nach Hause gestapft!
Im Jahr danach ging ich unentschlossen hin, fühlte mich fehl am Platz, bin wieder nach Hause aufs Sofa, fühlte mich fehl am Platz, also wieder hin – und wieder nach Hause … Identitätskrise nennt man das wohl. Zur unvermeidlichen Diskussion darüber, ob die CSD-Parade eigentlich politische Demonstration ist oder Karneval der Skurrilitäten, erlaube ich mir, keine Meinung zu haben: Einerseits sollen sie sich alle geben, wie sie sich fühlen, denn was ist gegen Hundewelpenmasken und bleiche Schwabbelbäuche unter Netzshirts zu sagen? Andererseits soll und will man sich ja mit dem Anliegen der Veranstaltung identifizieren, und da steh ich alter schwuler Boomer in meinen Langweiler-Klamotten und will auch gar nichts anderes sein als unscheinbar. O. K., vor mir an der U-Bahn-Rolltreppe brüllt eine sturzbetrunken wankende und sichtlich angepisste Lesbe: „GEHTS HIER NACH KREFELD?!“, was mich wieder auf die vielen komischen Details des Events aufmerksam macht. Hier ist alles genderqueer und ich weiß nicht so recht, ob ich genderqueer genug bin oder ob ich dazu noch zwei oder drei heterosexuelle Wodka-Bowlen brauche.
Aber, und nun kommts: Während ich die Problematik hin und her schiebe, steht womöglich ein aufgeregter Junge direkt neben mir, nennen wir ihn Lukasz, mit leuchtenden Augen, vom Feiern beseelt, der sich – aus der bedrückend heterosexuellen Provinz kommend – seit Monaten auf dieses besondere Wochenende gefreut hat, vielleicht gehofft hat, die Leute wiederzutreffen, die er letztes Jahr hier kennenlernte! Vor allem diesen süßen Tobias aus Düsseldorf, und vielleicht gibt es dieses Jahr sogar einen Kuss oder gar Sex mit dem! Mit Herzklopfen denkt er daran und wie scheiße es ist, dass nicht das ganze Leben überall so ist wie hier beim CSD: bunt, queer, ausgelassen und frei! Und da habe ich als alter Sack gefälligst aufzuhören, rumzunörgeln. www.maenner.media/ralf-könig
Wir sind auch auf Instagram: