Das eigentliche Rätsel des Films beginnt, nachdem man ihn gesehen hat. Dann beginnt man sich nämlich zu fragen, welches dänische Mädchen denn im Titel eigentlich gemeint ist. Klar, vordergründig handelt Tom Hoopers Streifen, der auf einer wahren Geschichte basiert, von dem dänischen Landschaftsmaler Einar Wegener (Eddie Redmayne) und dessen beschwerlichen Weg zu seinem wahren Selbst Lili Elbe, die schließlich im Februar 1930 eine der ersten geschlechtsangleichenden Operationen an sich ausführen ließ.
© FOTO: UNIVERSAL PICTURES
© FOTO: UNIVERSAL PICTURES
Aber da ist noch dieses andere dänische Mädchen: Einars Ehefrau Gerda (Alicia Vikander), die ebenfalls Malerin einen ebenso steinigen Weg zu gehen hat wie Einar/Lili. Zu Beginn des atmosphärisch äußerst dichten Films erleben wir die beiden als sich bedingungslos liebendes Ehepaar. Einar ist ein aufsteigender Star in der Kopenhagener Kunstszene, dessen Gemälde der immer gleichen Landschaft hoch geschätzt werden. Gerda malt hingegen mit zunächst mäßigem Erfolg Porträts. Sie müsse ihr Motiv noch finden, heißt es. Weil eines ihrer weiblichen Modelle eines Tages nicht wie vereinbart erscheint, muss Einar als Ersatz herhalten und es ist in diesem Augenblick, als er die Seidenstrümpfe des Modells überstreift, dass die bewusste Verwandlung beginnt und alte verdrängte Sehnsüchte aus ihm herausbrechen. Das Tragen von Frauenkleidern wird für ihn zum Bedürfnis und zur Befreiung. Diese wird zunächst von Gerda und dem künstlerisch-liberalen Freundeskreis des Paares durchaus gefördert, wobei der Film an manchen Stellen teils nur knapp (aber zum Glück erfolgreich) an dem einen oder anderen Charlys-Tante-Klischee vorbeinavigiert, was vor allem den rundum hervorragenden schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller zu verdanken ist.
Eddie Redmayne (Die Entdeckung der Unendlichkeit) liefert einmal mehr einen überzeugenden Beweis seines Talents ab und dürfte sich hiermit im zweiten Jahr in Folge in den Oscar-Favoritenkreis gespielt haben. Seine schwanenhälsige Lili ist sehr glaubhaft und schafft es, die innere Zerrissenheit Einars/Lilis zu verkörpern, die sich zu jedem Zeitpunkt gezwungen fühlt, die eine oder andere Rolle zu spielen entweder die des heterosexuellen Ehemanns oder die der Lili, deren weibliche Posen und Gestik sie erst erlernen und sich bewusst aneignen muss.
Tom Hooper gestaltet den Film, passend zu den Biografien der Hauptcharaktere, ebenfalls wie ein Gemälde. Mit einer bewusst ausgewählten Farbpalette, mit perfekt inszenierten und beleuchteten Einstellungen und extrem stilvollem Produktionsdesign schafft er einen Film, der sich mitunter wie ein Besuch in einer Galerie anfühlt. Einblicke in das Seelenleben des Künstlers (bzw. der Hauptcharaktere) werden durch die ausgestellten Kunstwerke gewährt man ist sich aber stets darüber im Klaren, dass es nur bewusst ausgewählte, ganz spezifische Einblicke sind, die man erhält. Das wahre Wesen, die wirklichen Abgründe der Seele bleiben größtenteils verborgen. Und so beschäftigt sich der Film auch fast gar nicht mit der Körperlichkeit von Lilis Verwandlung, den damals revolutionären und experimentellen geschlechtsangleichenden Operationen, die vom Dresdner Arzt Kurt Warnekros (Sebastian Koch in einer sehr stimmigen Paraderolle!) vorgenommen werden.
Als Drama funktioniert der Film tadellos und man sieht auch aufgrund der hervorragenden schauspielerischen Leistungen und der stets wunderschönen Bildsprache gerne hin. Die Vita von Einar/Lili ist allerdings möglicherweise spätestens im Jahr eins nach Caitlyn Jenner keine allzu revolutionäre Story mehr Umso dankbarer ist man für die bisher noch nicht so oft beleuchtete Geschichte des anderen dänischen Mädchens nämlich Gerda, der Ehefrau. Sie ist die wahre Heldin des Films, und als solche macht sie The Danish Girl durchaus überraschend und sehenswert.
Internet: MERH INFOS