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Lorenz heißt der neue Mr. Fetisch Hessen, der Ende Juni bei der Leather Odyssey des FLC gewählt wurde. Der aufgeschlossene 27-Jährige lebt seit sechs Jahren in Frankfurt. Im Interview erklärt er, wie wichtig der Zusammenhalt innerhalb der Fetisch-Community ist und wieso wir wieder lernen müssen, trotz aller Unterschiede zueinander zu finden.
Lorenz, erstmal herzlichen Glückwunsch! Wie bist du dazu gekommen, dich für den Mister-Titel zu bewerben?
Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren Mitglied im FLC und hatte da eine mega-gute Zeit. Früher dachte ich, es gibt einfach nicht so viele Leute, die so ticken wie ich. Im FLC hatte ich dann plötzlich eine ganz, ganz tolle Community. Ich habe letztes Jahr einen Kandidaten begleitet und hab gesehen, wie cool das ist. Außerdem bin ich ein guter Freund meines Vorgängers Shkody, und habe bei ihm gesehen, dass das Spaß macht und etwas ist, was ich mir auch für mich gut vorstellen kann, auch weil ich viele eigene Messages habe, die ich noch mehr rausbringen möchte.
Dein Bewerbungsmotto lautete „Fetisch lässt uns zusammenwachsen“ – das kann man ja doppeldeutig lesen: „zusammenwachsen“ oder „zusammen wachsen“. Wie siehst du das?
Das war genau mein Ziel, dass man darüber nachdenkt. Ich möchte beide Bedeutungen vertreten. Mit „Fetisch lässt uns zusammen wachsen“ meine ich Folgendes: Im Fetisch gibt’s ja so viele Bereiche, und wenn man Erfahrungen sammelt und herausfindet, was einem Spaß macht oder was man nicht mag, da wächst man einfach an sich selbst. Mir persönlich ging es so, dass ich dadurch unglaublich viel Selbstvertrauen gewonnen habe und heute viel mehr weiß, wo ich stehe. Da geht es zum Beispiel auch um Fantasien, die man schon jahrelang hatte, und die dann in diesem geschützten Raum der Fetisch-Community vertrauensvoll ausgelebt werden können und man dadurch viel zufriedener und glücklicher wird. Das wäre die eine Bedeutung. Die andere „Fetisch lässt uns zusammenwachsen“, also zusammengeschrieben, da wollte ich dieses Community-Thema hervorheben, das ich selbst und auch bei einigen anderen erlebt habe, die ich an den FLC rangeführt habe: man hat eine ganz, ganz tolle und vor allem tolerante und verständnisvolle Community. Mit dem FLC habe ich gelernt, dass Fetisch okay ist und das es noch viele andere gibt, die so denken und so fühlen und diese Leidenschaft haben. Das hatte und hat für mich persönlich einen supergroßen Wert.
Deine Erfahrungen mit Fetisch sind also für dich eine Art Reise zu dir selbst, bei der du dich besser kennenlernst und dir erlaubst, auszuprobieren, was dir gefällt. Wie eine Expedition?
Ja genau. Ich hatte schon immer ein Interesse an Fetischen. Man sieht immer mal wieder Bilder oder Videos im Internet, und das hat mich schon immer sehr gereizt. Ich habe aber zuerst keinen Zugang dazu gefunden. Man macht sich da viele Gedanken, man fühlt sich ja dann auch irgendwie, naja, irgendwie komisch und fragt sich, warum steh ich jetzt auf sowas?
Mit meinem Partner hab‘ ich dann irgendwann den RUFF Store in Frankfurt besucht, das war so meine erste „Aktion“. Ich habe angefangen mit Neopren und Rubber und ein bisschen als Puppy. Und mir macht es einfach Spaß, in diese verschiedenen Rollen zu schlüpfen, sich selbst zu sehen und mit sich selbst zu beschäftigen. Und auch sich selbst so zu akzeptieren, mit dem Körper, den man hat, und im Fetisch-Gear dann diese Rolle zu leben. Das hat mit mir persönlich unglaublich viel gebracht.
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Hattest du ein Fetisch-Schlüsselerlebnis? Und war das unabhängig von deinem schwulen Coming-out?
Um genau zu sein, hatte ich eigentlich drei Coming-outs. Das erste war so mit 15, 16, als ich gemerkt habe, dass ich schwul bin. Was in einem kleinen Dorf in Norddeutschland, wo ich herkomme, nicht so einfach ist. Mit der dortigen Dorfjugend bin ich nie richtig warm geworden, deswegen bin ich da auch relativ schnell weg. Und dann kam so mit 19, 20 mein zweites Coming-out, dass ich auf deutlich Ältere stehe. Und das wird auch nicht von jedem einfach so akzeptiert und ist auch erstmal schwer zuzugeben. Und mit 23, 24 kam dann mein Fetisch-Coming-out. Fetisch hat mich schon immer gereizt, aber ich war sehr, sehr schüchtern, die Scham war sehr groß. Das Schlüsselerlebnis war dann wirklich das erste Mal, als ich mit meinem Partner im Frankfurter RUFF Store gewesen bin. Ich war unglaublich aufgeregt und total nervös, ich hab geschaut, ob irgendjemand sieht, dass ich da jetzt reingehe. Heute kann ich darüber schmunzeln. Im Laden habe ich gesehen, was es alles gibt, und man konnte es anfassen. Dazu gabs eine tolle und offene Beratung von Klaus (Inhaber des RUFF Store, Anm.d.Red.). Ich habe dann mit Rubber angefangen. Irgendwann kam dann auch Leder dazu, was jetzt mein Hauptfetisch ist, weil es für mich einfach am bequemsten zu tragen ist. Seit einem halben Jahr ist dann noch diese SWAT-Polizei-Military-Geschichte dazugekommen.
Ist Fetisch bei dir immer sexuell konnotiert oder fließt der Fetisch auch anders in deinen Alltag ein?
Natürlich hat es auch eine sexuelle Komponente, klar. Wenn mein Gegenüber in Gummi oder in Leder gekleidet ist, finde ich das attraktiver, als wenn er nichts anhat. Aber zum Beispiel nach einem stressigen Tag auf der Arbeit oder auch wenn ich einfach so zu Hause bin und gar kein sexueller Hintergrund dabei ist, kleide ich mich gerne einfach mal komplett in Leder oder in Gummi, wie andere vielleicht eine Jogginghose anziehen, und lege mich gemütlich aufs Sofa. Für mich fühlt sich das einfach sehr, sehr gut an und gibt mir ein angenehmes Gefühl auf der Haut. Dann kann ich sehr gut abschalten.
Welches ist dein Projekt, für das du dich als Mr. Fetish Hessen einsetzen möchtest?
Ich habe eigentlich drei Ziele, für die ich mich einsetzen möchte. Erstens möchte ich mehr Menschen dazu bringen, sich zu trauen, in die Community zu kommen, um ihre Wünsche und Fantasien kennenzulernen, sie ausleben zu können und Teil dieser tollen Gemeinschaft zu sein um sich – genau wie es auch bei mir war – viel wohler damit zu fühlen, viel selbstbewusster zu werden und viel mehr Rückhalt zu haben. Der zweite Punkt ist, dass ich mich ganz stark gegen Ausgrenzungen innerhalb der Fetisch-Community engagieren möchte, sei es zu Beispiel Age-Shaming oder auch Body-Shaming. Es macht mich immer traurig, wenn lese oder höre, dass Leute sagen, ja, ich bin zu dick für Gummi, ich bin zu alt, mich will eh keiner, oder all diese verschiedenen Gründe. Ich möchte dazu motivieren, toleranter zu sein und aufeinander zuzugehen. Dafür würde ich gerne die Vielfalt der Fetisch-Community vorstellen, in Form von kleinen Filmportraits auf Insta, in denen ich verschiedene Personen vorstelle, die vielleicht einen besonderen Fetisch haben, die vielleicht übergewichtig sind, jung, alt oder vielleicht trans sind. Also, die ganze Vielfalt und nicht nur Stereotype zeigen. Fetisch ist mega-vielfältig.
Der dritte Punkt wäre, die Vernetzung der Fetisch-Szene voranzutreiben. Da kann ich mir auch gut vorstellen, mit Partnervereinen auch aus anderen Städten zusammenarbeiten. In Frankfurt gibt's nicht mehr so viele Möglichkeiten für zum Beispiel Fetisch Partys, und da kann man einfach die Connections zu den Partnervereinen noch mehr nutzen.
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Wo gehst du denn hin, wenn du ausgehen willst?
In Frankfurt natürlich zu den FLC-Veranstaltungen, aber ansonsten ausgehen … das nächste wäre dann Mannheim, und da fährt man aber locker eine Stunde mit dem Auto, wenn man denn ein Auto hat. Ansonsten bin ich öfter mal in Berlin, Hamburg, München, Köln. Hier in der Region gibt es wirklich viele tolle queere Bars und Kneipen, das ist toll, aber einen Ort, wo man halt auch mal was machen kann, cruisen oder spielen kann, da gibt's halt hier leider nicht mehr so viele Möglichkeiten.
Fetisch ist ja inzwischen auch auf vielen Partys angekommen, in Form von „Club-Fetisch“, also zum Beispiel eine kurze Hose mit einem Harness kombiniert. Wie siehst du das?
Da gibt es ja immer wieder diese Diskussionen, ist das jetzt „richtiger“ Fetisch oder nicht? Da würde ich vielleicht eine Unterscheidung machen. Einmal gibt's Räume, wo sich Leute treffen, die nicht ausschließlich aus der Fetisch-Szene kommen, wo Fetisch aber toleriert wird oder manchmal sogar gewünscht ist. Da hat man die Chance, sich gegenseitig kennenzulernen. Das ist wie bei unseren offenen Fetisch-Treffs oder beim Fetish Pub Crawl. Und ich finde es wichtig, dass wir nicht immer nur unter uns bleiben.
Dann gibt's die Räume, die explizit nur für die Fetisch-Szene da sind, also Fetisch Partys wie die Approved des FLC, oder Events wie Folsom oder Easter Berlin, wo die Besucher gerne Full-Gear tragen. Das gibt mir als Fetischkerl noch mal viel stärker so ein warmes Gefühl von Community und Geborgenheit, von wirklicher Verbundenheit. Nicht dass ich die anderen Events oder Partys schlechtreden will, aber man muss das einfach unterscheiden. Und es ist wichtig, dass es diese beiden Räume gibt.
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Hast du selbst Erfahrungen mit Ausgrenzung in der Fetisch-Community gemacht?
Naja, ich bin ja noch recht jung, und ich spiele im SM-Bereich gerne auf der Top-Seite. Und da gibt‘s schon einige, die sagen: Was willst du junger Typ denn hier? Dich kann man doch gar nicht ernst nehmen! Ich finde das sehr schade. Ich bin jetzt nicht der muskelbepackte Proll, aber Top ist halt das, was mir Spaß macht. Akzeptiert mich doch bitte einfach so, wie ich bin, ich akzeptiere euch ja auch. Ich will zeigen, dass ein Master nicht nur ein breit gebauter Herr in gewissem Alter und ein junger Typ immer nur der Sub ist. Das versuche ich aufzubrechen.
Was ich mit großer Sorge beobachte, ist, dass die Kommunikation zwischen den ich sag jetzt mal in Anführungszeichen „älteren Lederkerlen“ und der „jungen Puppy-Community“ nicht so gut ist. Ich habe zu beiden Gruppen zum Glück einen sehr guten Draht.
Ich denke, die Fetisch-Community ist nur ein kleines Teilstück der großen queeren Community, und wenn wir jetzt da anfangen, uns in noch kleinere Gruppen aufzuspalten, dann finden wir halt irgendwann überhaupt nicht mehr zusammen. Was uns alle verbindet, ist doch der Fetisch, der Kink. Und den lebt der eine in Leder aus, der andere als Puppy, der andere in Rubber. Aber die Freiheit, das überhaupt tun zu können, ist ein kostbares Gut, und das müssen wir als Gemeinschaft erhalten. Die Jüngeren können so viel von den Älteren lernen, aber auch die Älteren können von den Jüngeren lernen. Die Jüngeren gehen ganz anders mit Fetisch um, viel selbstverständlicher, viel offener. Die Älteren haben viel queere Geschichte erlebt, die AIDS-Krise und vieles mehr. Und ich möchte mich dafür einzusetzen, dass das alles wieder ein bisschen mehr zusammenfindet.
Was mir wichtig ist: Man muss nicht jeden in der Community attraktiv finden oder mit jedem was machen wollen, aber man sollte trotzdem für den anderen interessieren und offen und tolerant bleiben. Einfach mal fragen, was machst du, was erlebst du, was ist für dich so interessant an deinem Fetisch. Wenn ich immer nur die Leute anspreche, von denen ich sexuell was will, dann wäre ich ja sehr schnell auch irgendwie ganz schön einsam!
Was ist die Message an die Community zum CSD 2024?
Meine Message zum CSD lautet: Traut euch, trefft euch, tut euch gut, habt Spaß miteinander und – ganz wichtig – passt aufeinander auf!
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Interview: Björn Berndt