Foto: Thore Rehbach
Dominus.Berlin
Gerademal seit 2002 wird Sexarbeit rechtlich als Beruf gesehen, und schon wieder werden Stimmen laut, Verbote gesetzlich zu verankern, um Sexarbeit wieder auszumerzen – unter dem Deckmantel der Coronakrise. Wir haben mit André Nolte, selbst Sexarbeiter und Pressesprecher des Berufsverbands der Sexarbeiter in Berlin, sowie mit Maike Biewen, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg, gesprochen.
„Das Problem ist, dass wir Sexarbeiter unter Generalverdacht gestellt werden“, meint André Nolte. „Beim ersten Lockdown im März oder jetzt im November haben wir natürlich gesagt: Okay, wir können nicht arbeiten und bleiben zu Hause, wie alle anderen auch. Da gab und gibt es von unserer Seite auch ein breites Verständnis. Als dann die Lockerungen im Mai kamen, die für uns aber nicht galten, fehlte uns das Verständnis. In mehreren Bundesländern wurden die Öffnungen dann teilweise gerichtlich erzwungen“. Nolte befürchtet, dass sich dieses Szenario nach dem Lockdown light wiederholen könnte.
„Man spürt schon wieder diese Vorurteile, nach dem Motto: „die halten sich eh nicht an die Vorschriften und sowieso ist das alles eh ein schmutziges Gewerbe“, meint Nolte.
Die Argumente, Bordelle auch während der Lockerungen weiterhin geschlossen zu halten, waren zum einen der Ausstoß von Aerosolen sowie die Gefahr, Kontakte nicht ordentlich nachverfolgen zu können – vor allem, weil Freier ihre Daten nicht preisgeben möchten. André Nolte meint dazu: „Es ist machbar mit Mundschutz. Es ist nicht schön, aber es ist machbar. Und was die Daten anbelangt: Wir sind ja nicht mehr in den 1950ern! Wir haben zum Beispiel die Daten anonym in einen Umschlag gesteckt. Natürlich, diejenigen, die sich im Restaurant als Donald Duck eintragen, tun das im Puff auch“. Vergessen sollte man dabei auch nicht, dass der Sexarbeitende ein großes Interesse daran hat, gesund zu bleiben – denn sein Körper ist sein Kapital.
Aus konservativen Kreisen wurden im Laufe des Jahres zusätzlich Stimmen laut, die sich im Zuge der Corona-Einschränkungen für ein generelles Sexkaufverbot stark machen. Dies gipfelte zum Beispiel in einer mit öffentlichen Geldern geförderten, professionell gestalteten Plakataktion in Stuttgart, die mit Slogans wie „Dein Spaß ist mein Horrortrip“, „Du kommst, ich verkomme“ oder „Zu verkaufen: Körper, Freiheit, Würde“ generell gegen Sexarbeit wetterten. Die Aktion ist Teil der „#Rotlichtaus“-Kampagne, bestehend aus dem Landesfrauenrat Baden-Württemberg und den Frauen des Vereins Sisters.
Foto: Thore Rehbach
Dominus.Berlin
André Nolte findet die Kampagne unsäglich: „Sie unterstellt zum Beispiel, dass jede Form von Sexarbeit einen psychischen Schaden für den Sexarbeiter mit sich bringt. Das stimmt einfach nicht“.
Maike Biewen, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg, bestätigt: „Die Kampagne unterstellt, dass es nur eine Art von Prostitution gibt, bei der alle Opfer sind. Selbstbestimmte Prostitution gibt es demnach nicht. Natürlich gibt es viele Menschen, die sich unfreiwillig prostituieren, aber da muss man ganz deutlich zwischen Menschenhandel und Prostitution unterscheiden“. Ein generelles Sexgewerbeverbot helfe nicht:
„Es ist naiv, zu glauben, nur weil man Sexarbeit verbietet, verschwinde die Prostitution. Sexarbeit fand und findet weiterhin statt. Ein Verbot sorgt dafür, dass Sexarbeiter*innen allein gelassen und in die Illegalität gezwungen werden. Und das heißt: weniger Schutz, weniger Rechte und mehr Stigma. Sicherheitskonzepte, die Bordelle und Sexarbeitende sich gegenseitig geben, brechen weg. Angebote der Sozialen Arbeit finden keinen Zugang mehr. Wer wirklich helfen möchte, muss bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen anfangen. Unser Beratungsansatz besteht darin, wert- und vorurteilsfrei zu helfen und zu unterstützten, wo es gerade nötig ist. Wer aus der Sexarbeit aussteigen möchte, wird natürlich auch unterstützt, aber die Ausstiegsberatung ist nicht unser primärer Ansatz. Um professionell zu unterstützen, braucht es ein flächendeckendes Beratungsangebot in Baden-Württemberg, dessen Finanzierung gesichert werden muss“, fordert Maike Biewen.
Auch André Nolte bestätigt: „Wenn du illegal arbeitest, hast du keine Rechte – zum Beispiel was das Bezahlen anbelangt. Dann sagt dir der andere, wie es läuft“. Und er gibt außerdem zu bedenken: „Insbesondere in der Männerprostitution gibt es einen großen Anteil, der nicht in Bordellen arbeitet. Die darf man ja nicht vergessen! Auf finanzielle Unterstützung wie ich sie hoffentlich durch die Corona-Hilfen bekomme, können sie nicht bauen. Und daher muss man die Beratungsstellen ausbauen“.
Dass die Lobby für Sexarbeiter*innen und ihr gesellschaftliches Ansehen nicht besonders groß ist, weiß André Nolte: „Mehr Öffentlichkeit ist da der richtige Weg. Ich vergleiche das mal mit der Geschichte der Homosexuellen – da haben wir ja schon einen großen Schritt getan, wir können jetzt heiraten und auf der Berliner Motzstraße rumknutschen. In Garmisch-Partenkirchen auf dem Marktplatz sieht das vielleicht noch ganz anders aus, aber mit der Akzeptanz von Homosexualität ist es generell doch weiter als mit der von Sexarbeit. Da herrschen immer noch Bilder vor, dass das ein schlechter Beruf ist. Und deshalb müssen wir da auch einen ähnlichen Weg gehen, mit Aufklärung. Das ist meine Mission und deswegen spreche ich heute auch mit dir. Ich biete zum Beispiel auch ehrenamtlich Backstage-Touren durch unser Studio und zeige den Leuten was man hier alles machen kann. Es geht es darum, sexuelle Dienstleistungen salonfähig zu machen. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg.
Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. sammelt über seine Website Spenden für diejenigen, die keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben.
Mehr Infos über www.berufsverband-sexarbeit.de