Wenn es eine Gewissheit gibt, dann die, dass nichts absolut sicher ist. Der geglaubte Grundsatz, dass in Europa nie wieder ein Land ein anderes überfallen und mit Krieg überziehen würde, ist über Nacht wertlos geworden. Gleichzeitig können über die Erklärung, dass der Scheitelpunkt nun erreicht sei und die Pandemie ihr Ende finden werde, die Millionen, die in diesem Moment in Quarantäne zu Hause sitzen, nur traurig lächeln, und auch die Autorin dieser Zeilen schreibt sie dieses Mal vom COVID-19-Krankenlager.
Die Ereignisse der vergangenen beiden Jahre haben uns drastisch vor Augen geführt, wo Entwicklungen verschlafen und althergebrachte Dogmen von den Erfordernissen der Realität überholt wurden. Das gilt offenkundig sowohl für die Sicherheits- als auch für die Energiepolitik – und die Faxgeräte in den Gesundheitsämtern legen den Verdacht nahe, dass viele weitere Lebensbereiche der Gesellschaft noch nicht in der Gegenwart angekommen sind. Wenn jeder Krise auch eine Chance innewohnt, dann ist jetzt eine gute Gelegenheit, um auch gleich einige andere Glaubenssätze auf den Prüfstand zu stellen. Beispielsweise die oft herbeigeredete wechselseitige Solidarität der queeren Communitys. Es ist höchste Zeit, sich auch hier ehrlich zu machen und anzuerkennen, was sie seit Jahrzehnten unüberbrückbar trennt und wo es wirklich gemeinsame Interessen gibt.
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Virtuelle Realität
Auch die queeren Communitys dürfen sich der Realität nicht verschließen - Foto: Flickr User Aceboy Models - Lizenz: Creative Commons CC BY 2.0
Entmischungstendenzen
Wo es keine Gemeinsamkeiten gibt, lassen sich nur schwer welche herbeiargumentieren. Von vielfältigen queeren Communitys sollte man eigentlich erwarten, dass sie eben diese Vielfalt aushalten können. Es ist aber unübersehbar, dass dies immer öfter nicht mehr gelingt. Von einer queeren Durchmischung in den Frankfurter Szene-Bars, die vor einigen Jahren noch ausgeprägter war, kann heute keine Rede mehr sein. Vielmehr werden die Segregationstendenzen immer stärker. Auch weil innerhalb der Angehörigen der LGBTIQA-Buchstabenreihung kein weitreichendes Verständnis mehr darüber erzielt werden kann, wo eigentlich über die Forderung nach mehr Toleranz hinaus die inhaltlichen Berührungspunkte von Gays, Intergeschlechtlichen und Asexuellen liegen. Noch arbeiten starke Aktivist*innen in der Initiative „Grundgesetz für alle“ gemeinsam am in der Verfassung verankerten Diskriminierungsschutz für queere Menschen. Nach dem erfolgreichen Kampf für die Gleichstellung in der Ehe ist dies gegenwärtig am Regenbogenhorizont vorerst eines der letzten großen gemeinsamen Projekte, das die LGBT*IQ-Communitys in ihren öffentlichen Forderungen verbindet. Gleichzeitig sind immer öfter Symptome nicht nur von Abgrenzung, sondern von unmissverständlicher Ausgrenzung zu sehen.
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Trennlinien
Abegrenzungen finden längst auch innerhalb der queeren Community statt - Foto: Flickr User shizzy0 Lizenz Creative Commons CY BY 2.0
Das neue „Wir“
Das Aufkommen des Akronyms FLINTA* ist ein Beispiel dafür. Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Transgender- und Agender-Personen werden hier zusammengefasst und man muss nicht lange rätseln, wer hier explizit ausgenommen ist: Cis-Männer, auch wenn sie schwul sind. In dem Moment, wo solche Kategorien nicht mehr nur akademische Begriffsdefinitionen sind, sondern tatsächlich zu Grenzziehungen führen, sollte man sich vom Begriff der queeren Community verabschieden. Denn richtig ist natürlich auch, dass in den wuchernden Buchstabenreihungen nicht nur sehr viele mitgemeint sind, sondern genauso oft auch vereinnahmt werden, ohne dass mit LGBT*IQ wirklich ihre Belange in den Fokus genommen würden.
Ehrlicher ist es deshalb, die Personengruppen zu benennen, wenn es um sie geht, und künftig auf allumfassende Beliebigkeitsfloskeln zu verzichten. Mithin macht das deutlich, wer tatsächlich im Vordergrund steht und wessen Themen dagegen viel zu selten berücksichtigt werden.