Saufen, Fressen, auf die Suche nach Fortpflanzungspartnern gehen. Wenn sich keine finden lassen, dann wenigstens dem Reviernachbarn eins zwischen die Hörner geben. Ansonsten ein schattiges Plätzchen suchen und dösen. – Das sind im Wesentlichen die Prioritäten im Tierreich. Bei uns Menschen ist es nur geringfügig anders: Trinken, Essen, gelegentlich sogar Saufen und davon ermutigt die intensivere Suche nach Sexualpartnern beginnen. Damit bei Letzterem eine Aussicht auf Erfolg besteht, sollten im Vorfeld möglichst regelmäßig Leibesübungen unternommen werden. Doch die Voraussetzungen, um ernsthaft Sport zu treiben, sind für viele von uns hoch: Es darf nicht regnen und weder zu warm noch zu kalt sein. Falls alles passt, verhindern meist gesellschaftliche Anlässe oder die Erwerbsarbeit den Gang ins Fitnessstudio. Ansonsten muss zu Hause mal dringend wieder Staub gewischt werden.
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Irgendwas ist also immer, das uns von unseren als wichtig priorisierten Vorhaben abhält. Das geht der Politik nicht anders: Abstammungsrecht, Selbstbestimmungsgesetz, Antidiskriminierung, Bekämpfung von Queerfeindlichkeit – sie haben sich einiges vorgenommen in Berlin, und die Hoffnungen darauf sind in der Community groß. Doch Corona brandet Welle auf Welle heran und in Europa ist Krieg. Es gibt also viel Wichtiges zu tun. Das gibt es immer. Genau deshalb dürfen die queerpolitischen Vorhaben nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Das eine tun, ohne das andere zu lassen
Bis Ende August hat der Bundestag parlamentarische Sommerpause, die erste Sitzung ist im September, und bislang sind von keiner der großen Vorhaben beschlussreife Gesetzesvorlagen zu sehen. Das erste Jahr nach der Wahl ist dann bereits rum, ohne dass sich eine der großen Hoffnungen von LGBTIQ* für Deutschland erfüllt hätte. Die parteipolitischen Konstellationen sind dabei in dieser Legislaturperiode aus queerer Sicht so günstig wie nie. Wenn nicht jetzt, wann dann?
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Am besten alles gleichzeitig - Foto: flickr User Kristina D.C. Hoeppner - Lizenz CC BY-SA 2.0
Ohne Frage sind derzeit die Führungskräfte unseres Landes in der Pflicht, sich den großen Aufgaben der Gegenwart zu stellen: den Frieden in Europa wiederherstellen, die Gesundheit der Bevölkerung sichern und den von ihr über Jahrzehnte erarbeiteten Wohlstand nicht von der grassierenden Inflation auffressen lassen.
Niemand, auch queere Menschen nicht, würde es nachsehen, wenn Minister*innen und Fachpolitiker*innen des Bundestages hier nicht mit ihrer ganzen Kraft und Präsenz für diese Ziele einträten. Das bedeutet nicht, dass notwendigerweise deshalb der gesellschaftliche Fortschritt im Land zum Stillstand kommen muss. Im Gegenteil: Wenn beinahe aus dem Stegreif eine Grundgesetzänderung für die Aufstellung eines Sondervermögens zur Aufrüstung der Bundeswehr möglich ist, die wenige Monate vorher noch undenkbar gewesen wäre, warum sollte nicht auch endlich ein über ein Jahrzehnt diskutierter Diskriminierungsschutz der sexuellen Identität im Artikel 3 unserer Verfassung verankert werden können?
„Haben die nichts Wichtigeres zu tun?“
Welche Schwerpunkte die Menschen in unserem Land bestimmten Handlungsfeldern der Politik beimessen, ist sehr unterschiedlich. Es hängt ab von der individuellen Lebensrealität, den eigenen Bedürfnissen und nicht zuletzt von der politischen Haltung. Welche Aufgaben als dringend empfunden werden, ist viel mehr eine Frage der Perspektive als tatsächlicher Brisanz. „Haben die nichts Wichtigeres zu tun?“ hört sich deshalb nur vermeintlich wie ein Totschlagargument an. In Wahrheit ist es keins, führt aber oft genug dazu, dass Politiker*innen sich damit ins Bockshorn jagen lassen. Natürlich gibt es derzeit drängende Probleme, deren Lösung keinen Aufschub duldet.
Das bedeutet jedoch nicht, dass man nicht das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Denn: Herausforderungen höchster Priorität wird es immer geben, und der Zeitpunkt, an dem es mal passt, wird nicht kommen. Ohnehin ist Politik keine Quizshow, in der man sich die Themenfelder rauspicken darf, in denen man glaubt, reüssieren zu können. Im echten Leben müssen bedauerlicherweise immer alle Fragen beantwortet werden.
Außerdem werden uns der Ukrainekrieg, die Pandemie und deren Folgen noch auf Jahre hinaus beschäftigen, während neue Probleme am Horizont erscheinen. Wenn es also absehbar keine günstigere Gelegenheit geben wird, können wir mit der Lösung der schon viel zu lange aufgeschobenen queerpolitischen Hausaufgaben genauso gut jetzt beginnen.