Gibt es einen queeren Generationenvertrag? Besteht eine ideelle Verbindung zwischen der gegenwärtigen Generation von Lesben, Schwulen und Transgendern und den vorhergegangenen? Ist diese Brücke über die Altersgruppen sinnvoll oder überhaupt gewollt? Junge queere Menschen ziehen ohne Frage großen Nutzen aus den gesellschaftspolitischen Kämpfen, die andere Jahrzehnte zuvor erfolgreich geführt haben. Dabei wollen sich aber trotzdem nicht alle in die Selbstbezeichnungen fügen, die früher erst mühevoll und zum Teil schmerzhaft mit Wertschätzung, Lebensgefühl und Stolz gefüllt werden mussten. Nicht wenige frauenliebende Frauen tun sich beispielsweise heute schwer, das Wort „Lesbe“ für sich zu gebrauchen. Queer geht dagegen immer. Ein Sammelbegriff, der so ausgefranst ist, dass er alles oder nichts bedeuten kann. Schon früher galt: Nicht überall, wo „homosexuell“ draufsteht, ist auch „lesbisch“ drin. Für den Begriff „queer“ gilt mindestens das Gleiche. Es schadet nicht, neue Begriffe zu gebrauchen, die mehr Menschen einschließen und deren Definition weniger eng geprägt ist. Wichtig ist, dass der Wunsch, mit der eigenen Verwendung von Sprache möglichst offen für möglichst viele und vieles zu sein, nicht in einer Beliebigkeitsfloskel mündet. Gelegentlich muss man sich nämlich schon fragen, ob „queer“ nicht immer öfter „mainstream“ ist.
Enge Ufer des queeren Sammelbeckens
Die Trans*-Community hat die Begriffstransformation seit einigen Jahren hinter sich. Auch hier lief es nicht ohne Kämpfe um die Deutungshoheit und Streit um die Anerkennung des Aktivismus vorangegangener Generationen ab. Ziel war es, eine Sammelbezeichnung für die Selbstbeschreibungen als „transsexuell“, „transident“, „transgender“ und die zahllosen anderen Ausdrucksformen geschlechtlicher Vielfalt zu finden, die möglichst viele Menschen, die ihre einmal zugewiesene Geschlechtsidentität hinterfragen, mitnimmt, ohne wahllos zu werden. Mit einem * hinter dem „Trans“ sind sie alle gemeint. Seitdem wird die Trans*-Community von Unkundigen für die Implementierung der sogenannten „Gender-Sprache“ verantwortlich gemacht. Dabei ist der * nun einmal das Platzhalterzeichen und findet überall dort Anwendung, wo es gebraucht wird.
Dass die binäre Geschlechterwelt mit ihrer auf die zwei biologischen Genitalgeschlechter begrenzten Denkweise nun erheblich erweitert wird und sich dies auch in der geschriebenen und gesprochenen Sprache niederschlägt, ist wiederum für die älteren lesbisch-schwulen Generationen nicht einfach zu verstehen. Manchmal wird die neue Vielfalt nicht akzeptiert. Mitunter wird sie sogar in queeren Kreisen nicht toleriert oder abgelehnt. Letzteres ist armselig und zeigt auf, wie schnell im großen Sammelbecken des Wortes „queer“ die engen Ufer erreicht sind.
Generationenübergreifendes Engagement
Unterschiede und Trennendes sind auch unter LGBTIQ* schnell ermittelt und ausformuliert. Das ist nie schwer. Mir macht es aber auch keine Mühe, das Gemeinsame und Verbindende über die Generationen hinweg zu sehen. Hier können wir viel mehr voneinander profitieren als beispielsweise (cis) Heteros.
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Trotz Altersunterschied: Gemeinsam sind die beiden unbezwingbar - Foto: Fickr User istolethetv - Lizenz Creative Commons CC BY 2.0
Denn während sich deren Familien- und Partnerschaftsmodelle über die Jahrzehnte deutlich verändert haben, haben LGBTIQ* schon in der Vergangenheit viele dieser Lebensmodelle entdeckt, geübt, verworfen und wiedergefunden. Was den meisten Homosexuellen und Transidenten gemein ist, sind die existenziellen Fragen rund um das Älterwerden und die Gedanken um Vereinsamung und Fürsorge in Zeiten der Hinfälligkeit.
Besonders der Jugendwahn der Gay-Subkultur verhindert eine generationenübergreifende Auseinandersetzung mit diesen Themen. So müssen die Älteren von heute diese Probleme des queeren Alterns weitgehend allein bewältigen. Sie sind überhaupt die Ersten von uns, die das in einer offenen Gesellschaft in Freiheit und Würde tun. Dass hier Handlungsbedarf besteht, liegt auf der Hand und ist auch von den Community-Organisationen, Politik und Verwaltung erkannt. Mit Leben gefüllt sind die neu aus der Taufe gehobenen Projekte zu LGBTIQ* im Alter jedoch noch lange nicht. Wer dafür bezahlt wird, sich damit zu beschäftigen, tut es. Wer nicht, nicht.
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Queere Menschen sind im Alter häufiger von Vereinsamung betroffen - Foto: cottonbro/Pexels
Von einem queeren Generationenvertrag kann also längst keine Rede sein. Die Sorgen der Älteren um zunehmende Entkopplung vom Szene-Leben und die damit einhergehende Vereinsamung können ihnen nur die nachfolgenden LGBTIQ*-Jahrgänge durch generationenübergreifendes Engagement füreinander nehmen. Davon profitieren alle beteiligten Altersgruppen: die einen jetzt, die anderen später. Denn die gemeinsam gefundenen Lösungsstrategien, um den besonderen Herausforderungen für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* im Alter entgegenzutreten, nutzen auch ihnen irgendwann. Wenn sie sich allerdings aus Eitelkeit und/oder Ignoranz diesen Fragestellungen versperren, werden sie wieder die Ersten sein, die Antworten dafür finden müssen.