„Panta rhei“ – „alles fließt“ ist einer der bekanntesten Lehrsätze des griechischen Philosophen Heraklit. Nicht zuletzt in Bezug auf die Zapfhähne und Cocktailshaker in den queeren Bars ist das derzeit zutreffend. Noch. Wer aber weiß, ob nicht demnächst doch wieder eine zweite Corona-Welle die vielen Partybilder von sich ungezwungen in den Armen liegenden Menschen aus meiner Instagram-Timeline schwemmt und für Monate wieder durch Lockdown-Selfies bei der Wohnzimmergymnastik ersetzt? Für viele Bereiche des Bar-, Klub- und Kleinkunstlebens, die kaum ein Wellental gespürt haben, wäre es der Untergang. Umso mutiger und bemerkenswerter ist, dass in der Frankfurter Szene Heraklits Sinnspruch des fortwährenden Formwechsels trotz Pandemie mit praktischer Bedeutung beladen wird. Denn hier vollzieht sich ein gelungener Generationenwechsel, bei dem Jung-Gastronom Max sowohl die Autographs Bar als auch die Blue Bar übernimmt. Erstere erhält wieder ihren Mädchennamen Tangerine, Letztere verschiebt er farblich ins wärmere Spektrum, sodass sie nun als Pink Bar reüssiert.
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Tangerine
Von wegen Orangenhaut - Die Tangerine bleibt frisch und saftig - Foto: Flickr User Michael Stern Lizenz Creative Commons CC BY SA 2.0
Szene-Veteran Norbert weiß die über Jahre von ihm geführten Szene-Läden damit in guten Händen und eröffnete mir seine Übergabe-Entscheidung, wie es seine Art ist, leichthin mit einem Vers von Hermann Hesse: „Abschied nimmt die bunte Welt, / Die so lieb mir ward. / Hab ich auch das Ziel verfehlt, / Kühn war doch die Fahrt.“
Das polnische Stonewall
Die bei der Regenbogen-Community beliebten Fernreisedestinationen sind unter den Pandemie-Bedingungen so gut wie unerreichbar geworden. So fügte es sich, dass ich während der unerhörten Auseinandersetzungen zwischen LGBTIQ*-Aktivist*innen und der Polizei in Warschau Anfang August nur unweit davon durch die ländlichen Teile unseres östlichen Nachbarlandes gondelte und trotzdem von den Vorfällen völlig unkundig blieb. Das mag sicherlich an meiner fast vollständigen Sprach- und Verständnislosigkeit dem Polnischen gegenüber liegen. Zweifelsohne war aber den in weiten Teilen vom Regierungsapparat beeinflussten polnischen Medien das Aufbegehren von Lesben, Schwulen und Trans* in Warschau nicht so sehr der Mitteilung wert, wie es bei uns der Fall war. Genauso war es übrigens auch in der schwül-heißen Nacht in der New Yorker Christopher Street im Jahr 1969, als ausgehend von der Pinte Stonewall Inn der erste weithin wahrgenommene Widerstand gegen polizeiliche und gesellschaftliche Repression unternommen wurde. Auch damals gab es nur spärliche Berichterstattung in der New Yorker Presse, die die bürgerrechtlichen Hintergründe der Zusammenstöße ausklammerte. So kam es, dass – obwohl jene Ereignisse heute als der Kristallisationspunkt der weltweiten LGBTIQ*-Emanzipationsbewegung gelten – die tatsächlichen Gegebenheiten in großen Teilen nur mündlich überliefert worden sind. Deshalb enden hier auch schon die Parallelen zu den Auseinandersetzungen in Warschau, die nun als „polnisches Stonewall“ bezeichnet werden und bei denen filmende Smartphones omnipräsent waren. Das schmälert selbstverständlich keineswegs den Mut der Aktivist*innen gegenüber der maßlosen Härte und Gewalt der Warschauer Polizei. Das Aufbegehren der polnischen LGBTIQ*-Bewegung nur als ein weiteres Stonewall zu titulieren, setzt die dortige Community genau genommen hinter vieles auch dort bereits Erreichte zurück. Denn das New Yorker Stonewall war der Beginn des Pride-Gedankens, wie wir ihn heute kennen. Dahinter verbirgt sich, zusammenfassend formuliert, die Idee eines gemeinschaftlich selbstvergewissernden Widerstands gegen eine diskriminierende Gesellschaft, die sich bis dahin noch nirgendwo sonst in dieser Form manifestiert hatte. In Polen und auch in anderen osteuropäischen Ländern mit homo- und trans*feindlichen Politiken ist man aber an diesem Wendepunkt trotz aller bestehenden Repressionen schon lange vorbeigezogen.
Prawa człowieka
Die Menschenrechte sind als das „unabdingbare politische Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in einem Staat“ definiert. Dazu zählen fraglos auch das Begehren und Lieben von Menschen des gleichen Geschlechts sowie das Leben in der individuell empfundenen Geschlechtsidentität. Diese Rechte zu einer „Ideologie“ herabzuwürdigen und das Streiten dafür zu einem von der LGBTIQ*-Community angezettelten „Kulturkrieg“ zu erklären, wie es polnische Regierungsvertreter/-innen tun, zeigt auf, wie grundlegend dort die Eskalation gegenüber queeren Anliegen vorangetrieben wird. „Prawa człowieka” heißt „Menschenrecht“ auf Polnisch, ist genau deshalb auch zum Slogan der polnischen Aktivist*innen geworden und ziert auch hierzulande zahlreiche Social-Media-Profilbilder von Menschen, die sich mit den Anliegen der polnischen Community solidarisch erklären. Weil es so viele sind, steht es auch der deutschen Politik gut zu Gesicht, die Forderung nach Einhaltung menschenrechtlicher Grundsätze verstärkt in den Fokus zu nehmen. In Bezug auf die Entwicklungen in Polen bedeutet das konkret, einzufordern, dass der Umgang von Polizei und Staatsanwaltschaft mit den festgenommenen Aktivist*innen genauestens beobachtet wird und gleichzeitig grundsätzlich die Rechte von Demonstrierenden sichergestellt werden.
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Solidaritäts-Demo für polnische Queers
Frankfurter Solidaritäts-Demo für Queers* in Polen
Auch diesseits der Grenze gibt es Handlungsbedarf. Das deutsche Transsexuellengesetz, das die Belange von transidenten Menschen regelt, ist vierzig Jahre alt, völlig veraltet, widerspricht im Kern längst dem Stand der Wissenschaft, bedeutet für die Betroffenen einen meist teuren, demütigenden Spießrutenlauf und hemmt somit die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Obwohl dieses Sondergesetz damit offenkundig nicht menschenrechtskonform ist, gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung diesen Missstand in absehbarer Zeit beseitigen wird.
Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen im Zusammenhang mit der Infektionsvermeidung hat sich auch für eine andere Personengruppe die menschenrechtliche Situation bedeutend verschlechtert, die ohnehin kaum eine Lobby im gesellschaftlichen Bewusstsein hat: Menschen, die ihr Geld mit Sexarbeit verdienen, haben seit Monaten keine Möglichkeiten, dies unter geordneten, geschützten und hygienischen Bedingungen zu tun. So wenig, wie aber trotz Infektionsrisiko auf die Urlaubsreise nach Mallorca und das gemeinsame Feiern verzichtet wird, ist auch die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen nicht zurückgegangen. Sexarbeit ist nur schlichtweg in die Illegalität gedrängt worden, was für die Sexarbeitenden bedeutet, dass sie ihre Dienste nun meist an unsauberen Orten anbieten müssen, wo es für sie keinen Schutz vor Gewalt, keine Toiletten und Duschen gibt. Von einem Hygienekonzept ganz zu schweigen. Dass es politisch schwer zu vermitteln ist, angesichts steigender Infektionszahlen Sexarbeit in geordneten, hygienischen Bahnen wieder zu ermöglichen, steht außer Frage. Im Sinne der Infektionsvermeidung ist es aber trotzdem angezeigt, weil Prostitution eben auch stattfindet, wenn sie verboten ist. Die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit ist ein Menschenrecht, auf dessen Einhaltung gerade bei Menschen geachtet werden muss, die durch tabuisierende Moralvorstellungen ohnehin seit jeher an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.