Kolumne Jessica
„Wir wollen trans*aktivistische Aktionen am Rande der Legalität machen“, erklärte eine*r der Aktivist*innen im Stuhlkreis eines Workshops zu den Belangen von transidenten Menschen, an dem ich vor einigen Jahren teilnahm.
In diesem Moment keimte erstmals der Samen des Misstrauens in mir auf, dass der Themenkomplex Transidentität und geschlechtliche Vielfalt von Leuten gekapert werden könnte, die sich in erster Linie nicht für ein Ende der rechtlichen und sozialmedizinischen Erniedrigung von transidenten Menschen interessieren, sondern für Identitätspolitik und Kampf gegen das „Cis-tem“ („Cis-System“).
Bild: Gerd Altmann/Pixabay
Streit
Günstige Vorzeichen
In der gleichen Zeit gab es in zwei Bundesministerien ernsthafte Bemühungen, das Transsexuellengesetz aus den frühen 80er-Jahren zu reformieren.
Höchste Zeit, denn das Bundesverfassungsgericht hatte das Gesetz schon längst in großen Teilen aufgehoben, darunter menschenrechtswidrige Regelungen wie den Zwang zur Unfruchtbarmachung von Menschen, die ihren Vornamen- und Geschlechtseintrag ändern wollen. Nun plante man, die letzte große Ungerechtigkeit aus dem Gesetz zu werfen: die Pflicht, dass Transgender für weit mehr als 1.000 Euro auf eigene Kosten Gutachter*innen beauftragen mussten, um vor Gericht eine Änderung ihres Vornamens- und Geschlechtseintrages zu erwirken.
Das Verfahren sollte nach dem Vorbild vieler Staaten in Europa und Südamerika vereinfacht werden. Außerhalb interessierter Kreise war von dem Vorhaben wenig bekannt und es bestand die Chance, dass das Kabinett Merkel IV auch hier ein queerpolitisches Thema abräumt, nachdem das Kabinett Merkel III schon die „Ehe für alle“ in trockene Tücher gebracht hatte.
Bild: Mohamed Hassan/Pixabay
Chance
Manche Chancen hat man nur einmal - Die Sorge ist groß, dass die dringend benötigte Reform des Transsexuellengesetzes verzockt wird
Doch die Trans*Verbände wollten eine größtmögliche Liberalisierung bei der Bestimmung des eigenen Geschlechts und der Kabinettsentwurf verschwand in der Versenkung.
In der folgenden Regierung, der jetzigen, gibt es eine große queerpolitische Agenda, die an die große Glocke gehängt viele Hoffnungen geweckt hat.
Zur Halbzeit ist kaum etwas davon umgesetzt. Das Herausragendste ist ein lange verzögerter Kabinettsbeschluss zum „Selbstbestimmungsgesetz“, mit dem das Transsexuellengesetz abgelöst werden soll. Kritische Stellungnahmen von Verfechter*innen der trans* Anliegen blieben jedoch nicht nur unberücksichtigt, sondern auch durch die Regierung unveröffentlicht.
Vergiftete Debatte
Schon im Vorfeld war der öffentliche Schlagabtausch zwischen Evangelikalen, Rechten und radikalfeministischen Gegner*innen und den Trans*Verbänden und -aktivist*innen widerwärtig. Einige hatten bei ihren trans*aktivistischen Aktionen die Grenze der Legalität längst überschritten, was zu einer spürbaren Entsolidarisierung von Lesben und Schwulen aus der Community führte.
Mir graut vor den Debatten im Bundestag, und die Sorge ist nicht unberechtigt, dass die dringend benötigte Reform verzockt und auf viele Jahre zu den Akten gelegt wird. Doch selbst einem jetzt so beschlossenen Selbstbestimmungsgesetz bliebe lange ein bitterer Beigeschmack erhalten.