Um als schwuler Mann schwul zu leben, muss man dem Vernehmen nach in erster Linie andere Männer romantisch oder sexuell begehren. Diese sexuelle Orientierung ist dabei Teil der Identität einer Person. Sie ausleben zu können, bedeutet selbstbestimmtes Leben. Zu ihr muss man sich nicht öffentlich bekennen, sie weder gerichtlich prüfen noch behördlich registrieren lassen.
Anders ist das für transidente Menschen, die sich nicht zum gleichen Geschlecht hingezogen, sondern sich dem anderen zugehörig fühlen. Denn während Homosexualität sexuelle und emotionale Privatsache ist, verlangt erfüllte Transidentität Öffentlichkeit. Die empfundene Geschlechtsidentität braucht nämlich soziale Bestätigung von außen, um als vollständig empfunden zu werden.
mit KI erstellt
Die Hürden der Biologie machen den Weg zu einem stimmigen Geschlechtsausdruck schwierig genug. Noch höher sind die bürokratischen Hindernisse der öffentlichen Verwaltung. Die Selbst-Identifikation transidenter Männer und Frauen erfährt einen herben Dämpfer, wenn die Dokumente, mit denen sie sich identifizieren sollen, einen anderen Namen und Geschlechtseintrag offenlegen.
Spießrutenlauf zur Selbstbestimmung
Bis 1981 gab es keine rechtliche Regelung zur Überwindung der Diskrepanz zwischen der gelebten Geschlechtsrolle einerseits und der Führung von Vornamen des anderen Geschlechts in Urkunden und Ausweisen andererseits. Dann trat das sogenannte Transsexuellengesetz in Kraft. Damals galt es als eines der fortschrittlichsten in Europa, aus heutiger Sicht enthielt es jedoch viele menschenrechtswidrige Gängelungen. Wer es in Anspruch nehmen wollte, musste auf eigene Kosten zwei teure Gerichtsgutachten über die Geschlechtsidentität erstellen lassen. Bestehende Ehen mussten geschieden und die Unfähigkeit zur Fortpflanzung operativ hergestellt werden. Bereits in den 90er-Jahren begann das Bundesverfassungsgericht, viele der haarsträubenden Regelungen zu kassieren. Und auch in der Sexualwissenschaft reifte die Erkenntnis, dass sich Geschlechtsidentität nicht ärztlich diagnostizieren lässt, sondern nur individuell empfunden und geäußert werden kann. Erst 2011 wurde die Pflicht zur Zwangssterilisation aufgehoben.
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Ein Meilenstein für die trans Community, der für viele erst den Weg öffnete. Befördert durch die neuen sozialen Medien wurden Geschlechtermodelle nun auch grundlegend hinterfragt. Bis dahin hatte das humanitäre Bemühen Vorrang, transgeschlechtliche Menschen medizinisch und formal über die biologische Grenze der beiden Geschlechter hinwegzuheben. Jetzt diskutierte eine neue Generation plötzlich, ob es diese Geschlechtergrenze überhaupt und mehr als zwei, womöglich sogar unbegrenzt viele Geschlechter gebe. Eine Debatte, die auch in der trans Community zu Zerrüttung führte, weil sie die bis dahin ausgetragenen Kämpfe sowie die Lebensleistungen transidenter Menschen mithin für überflüssig erklärte.
Nichtsdestotrotz erhöhte die neue Sichtbarkeit von geschlechtlicher Vielfalt gepaart mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den zusätzlichen Personenstand divers zu schaffen, den Druck auf den Gesetzgeber, das inhaltlich ausgehöhlte Transsexuellengesetz durch eine zeitgemäße Regelung zu ersetzen. In mehreren europäischen Staaten gibt es bereits Regelungen, um transparent und leicht zugänglich die geschlechtliche Identität rechtlich anerkennen zu lassen.
Neues Gesetz, alte Vorurteile
Nach vielen gesetzgeberischen Anläufen ist dies nun ab November 2024 mit dem Selbstbestimmungsgesetz auch in Deutschland möglich. Doch die öffentliche Diskussion darüber war so ätzend, dass man sich über diesen Erfolg kaum freuen kann. Im Land geht nun Unbehagen um, dass sich übergriffige Männer einen weiblichen Personenstand erschleichen, um in eine Damensauna zu gelangen. Das ist nicht auszuschließen. Allein schon deshalb, weil es so oft in den Zeitungen stand.
Realistischer und weitreichender ist die Sorge, dass Gesellschaft und Politik der Trans*-Thematik jetzt überdrüssig sind und für lange Zeit die Finger davon lassen. Dabei herrscht bei der Gesundheitsversorgung transidenter Menschen immer noch Willkür, weil ein expliziter Rechtsrahmen fehlt. Die Suizidalitätsraten von transidenten Menschen sind himmelschreiend; von Diskriminierung, Übergriffen und Gewalt sind sie am häufigsten betroffen. Das Selbstbestimmungsgesetz bedeutet für die kleine transidente Minderheit innerhalb der queeren Gesellschaftsminderheit also nicht das große Los, sondern lediglich das Ende staatlicher Schikane.