Seit zehn Jahren zieht der 32-jährige Dennis Bucek an 365 Tagen im Jahr abends los, um Lebensmittel einzusammeln. Alles, was Bäckereien, Märkte oder Imbisse nicht mehr verkaufen können, weil sie zu viel produziert haben, landet in seinem Bollerwagen statt in der Mülltonne.
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Die Inspiration kam nach einer Veranstaltung, die er zugunsten der AIDS-Hilfe organisiert hatte. Er erkannte die Verbindung von AIDS zur Sucht und von der Sucht zum sozialen Abstieg. „Es kotzt mich an, dass so viele Lebensmittel weggeworfen werden. Ein Unternehmen wirft pro Tag Lebensmittel im Wert von 200 bis 300 Euro weg, rechne das mal hoch auf die anderen!“, echauffiert sich Dennis. Und das völlig zu recht. Doch was macht er mit den ganzen Lebensmitteln, die er einsammelt? Er verteilt sie an OFWs, Menschen ohne festen Wohnsitz.
Neu ist diese Idee nicht, sie erinnert an Die Tafel, die seit vielen Jahren Lebensmittel umverteilt, jedoch müssen die Menschen zur Tafel gehen, sie kommt nicht zu ihnen, wie es bei Dennis der Fall ist. Die meisten Menschen ohne festen Wohnsitz halten sich, besonders bei schönem Wetter, an einem bestimmten Ort in der Stadt auf, meistens zu mehreren. Diese Orte klappert Dennis jeden Tag ab, mittlerweile warten sie sogar schon auf ihn. „Bei mir muss keiner hungern, jeder bekommt mindestens ein Teil, oder sogar zwei oder drei, solange er Hunger hat und es essen kann“, aber es ist nicht nur wegen des Essens, warum die OFWs auf Dennis warten. Er nimmt sich die Zeit, ihnen zuzuhören, verteilt immer wieder Kondome und löst sogar hier und da ein paar Konflikte. Wenn Ladeninhaber Stress haben mit OFWs übernimmt Dennis den Posten des Vermittlers. Es kommt nicht selten vor, dass sich viele OFWs ihr Essen klauen, doch in letzter Zeit hat sich das stark verringert, denn es gibt sowas wie feste Essenszeiten, „dadurch sparen sich viele Unternehmen die Security und der Diebstahl geht zurück“. Dabei hat er folgende Regeln: „Dass man mir nicht in die Tüte greift und dass der Konsum von Drogen in meiner Gegenwart nicht stattfindet“.
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Natürlich ist auch HIV bzw. AIDS ein Thema. Auch da ist Dennis der Ansprechpartner für alle, die nicht weiter wissen mit ihrer Infektion. „Sie sprechen mich auch wegen Prävention an, z.B. wenn Menschen HIV oder AIDS haben, was man da machen kann und wie man sich schützen kann“, sagt Dennis, während er zwei Männern Kondome zusteckt. „Ich achte auch darauf, dass infizierte OFWs, die in Behandlung sind, regelmäßig ihre Termine wahrnehmen, dass sie mir sagen, dass sie ihre Medikamente geholt haben“, und ergänzt „durch den Alkohol- und Beikonsum von Drogen ist bei einigen nicht die Regelmäßigkeit gegeben, Termine einzuhalten“. Jedoch weiß er auch um die Grenzen des Themas, denn Beraten heißt nicht, einem die Arbeit abzunehmen. Es ist ein Anstoß zur Selbsthilfe. „Viele sind auch psychisch nicht mehr in der Lage, selbst etwas zu tun. Aber um Therapieplätze kann ich mich nicht direkt kümmern, ich sage: Geh’ mal zur AIDS-Hilfe oder zum Arzt oder da und da gibt es eine Einrichtung!“
Im Grunde leistet er ganz nebenbei die Arbeit eines ehrenamtlichen Streetworkers, bei Wind und Wetter, und natürlich alles zu Fuß, denn ein Jobticket dafür gibt es nicht. „Zwar bekomme ich kein Geld, aber dafür sehe ich das Strahlen und fühle die Dankbarkeit“. Selbst die KVB hat ihm mit Hinweis auf die Landespolitik, die dafür in der Verantwortung stünde, diesbezüglich eine Abfuhr erteilt. Meistens nimmt er es gelassen, aber wenn größere Mengen an Essen zusammenkommen, wird aus seiner Route schnell eine Tour de Force.
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Wir treffen auf Mourad und seinen Ex-Freund Thomas, die seit einigen Jahren auf Platte sind, wie Obdachlosigkeit in der Umgangssprache genannt wird. Dennis kennt die beiden gut und plaudert mit ihnen. Auf meine Frage, wie es dazu kam, dass sie keinen festen Wohnsitz mehr haben, sagt Mourad, der mit vier Jahren aus Marokko nach Deutschland kam: „Ich habe hier zu viel Party gemacht, mit zu vielen Leuten und zu lang“, bis es dem Vermieter zu viel wurde und der Rauswurf kam. Rausgeworfen aus dem Leben wurde er außerdem durch seine Sucht, näheres dazu will er aber nicht sagen. Mittlerweile lebt er in einem Hotel, das eher eine Notunterkunft ist, die durch die Stadt Köln zur Verfügung gestellt wird. Auf meine Frage, ob er einen Unterschied sieht zwischen schwulen und heterosexuellen OFWs sagt er „Als Schwuler sehe ich keine Unterschiede, im Gegenteil, der Zusammenhalt ist veranlagungsunabhängig“. Eine Frau, die neben ihm sitzt, bestätigt seine Worte. Zumindest in diesem Punkt scheint die Obdachlosenszene weiter zu sein als die Community bzw. die Gesellschaft, in der wir leben.
Aus Mourads Aussage leitet Dennis seinen Wunsch ab, dass es schön wäre, „wenn man die rosarote Brille abnimmt, dass die Szene sich genauso mitbeteiligt wie andere auch und dass die Community hiervor nicht die Augen verschließt“, denn Verantwortung ist etwas, was den Menschen betrifft und nicht gruppentypisch oder genderabhängig ist. Die Gesellschaft sind wir.
Wer Klamotten, Essen oder Hygieneartikel übrig hat oder Dennis begleiten möchte auf seiner Runde, erreicht ihn bei PlanetRomeo, Profilname nexion, oder über Facebook, www.facebook.com/Strassenwaechter/