Nicht nur New Yorker wissen die Region entlang des Hudson River zu schätzen. Ob Natur, Kunst oder Kulinarik: Das Hudson Valley verspricht eine erholsame Auszeit von der Großstadt und bietet auch für LGBTIQ*-Reisende jede Menge Abwechslung.
Welch ein Kontrast. Schon gut 45 Minuten, nachdem man mit dem Zug die Penn Station im Herzen Manhattans verlassen hat, öffnet sich die Landschaft. Statt Beton, Stahl und Asphalt prägen Bäume, sanfte Hügel, Auwälder und der breite, ruhig dahinfließende Strom des Hudson River die Szenerie. Nach etwa einer Stunde Zugfahrt erheben sich auf der gegenüberliegenden Uferseite die mächtigen Gebäude der Militärakademie West Point. Auf dem 65 Quadratmeter großen Areal, auf dem im 18. Jahrhundert ein Fort gegründet wurde, welches als Hauptquartier für George Washington während des Unabhängigkeitskrieges diente, werden heute knapp 4.500 Kadetten ausgebildet. Ab hier erinnert das Tal des Hudson mit seinen steilen Hängen und Windungen und im Fluss befindlichen Inseln ein wenig an den Rhein. Und in der Tat bezeichnete das Magazin Life im Jahr 1939 den Fluss als den „Rhein Amerikas“. Bis zu 62 Meter tief ist der Hudson an dieser Stelle und erreicht an der Haverstraw Bay etwa fünfzig Kilometer nördlich vor New York City eine Breite von über fünf Kilometern.
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Big Gay Hudson Valley-Gründer Stephan (links) und Patrick
Der englische Entdecker Henry Hudson stand Pate für den Namen des Flusses, den er im Jahr 1609 von New York bis Albany hinauffuhr. Geprägt wurde die Region jedoch von holländischen Händlern, deren Kultur und Sprache das Hudson Valley über Jahrhunderte bestimmten. Der Fluss wurde zu Amerikas wichtigstem Verkehrsweg, Schiffe und später die Eisenbahn transportierten Waren von Fabriken und Feldern sowie Holz und Pelze vom Landesinneren nach New York City und von dort in die ganze Welt.
Hogwarts für Köche
Stephan Hengst könnte einer jener Nachfahren holländischer Siedler sein, die einst das Hudson Valley zu ihrer neuen Heimat machten. Zwar ist sein blondes Haar inzwischen ergraut – dennoch passt der kräftige Typ mit seiner sonoren Stimme perfekt ins Raster. Allerdings wurde Hengst tatsächlich in den Niederlanden geboren, seine Eltern wanderten jedoch zehn Wochen nach seiner Geburt in die USA aus. Aufgewachsen in der Metropolregion von Washington, D. C., verschlug es ihn 1996 zum ersten Mal ins Hudson Valley, wo er eine Ausbildung am Culinary Institute of America (CIA) begann – und dort später auch seinen Mann Patrick kennenlernte. Die 1946 gegründete Kochschule gehört zu den renommiertesten Ausbildungsstätten für Gastronomie weltweit und befindet sich heute in einem ehemaligen Jesuiten-Seminar im Städtchen Hyde Park. Das imposante Gebäude liegt auf einer Anhöhe über dem Hudson River und erinnert mit seinem riesigen Speisesaal ein wenig an Harry Potters Hogwarts-Schule der Hexerei und Zauberei – nur dass die Schülerinnen und Schüler hier weiße Kittel und Kochmützen statt schwarzer Umhänge und Zauberhüten tragen. Die Studenten haben die Möglichkeit, sich zum Koch, Bäcker, Konditor oder Patissier ausbilden zu lassen und schließen ihre Lehrjahre mit einem „Bachelor of Culinary Arts“ ab. Die Schule steht auch für Besucher offen, die sich in mehreren Restaurants, darunter dem Edelrestaurant Bocuse, von den Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler überzeugen können – Reservierung unbedingt empfohlen!
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Culinary Institute
Statt für eine Karriere hinter dem Herd entschied sich Stephan Hengst nach seinem Abschluss am CIA jedoch dafür, ins Fach Marketing und Public Relations zu wechseln. Nach mehreren Jahren bei verschiedenen Arbeitgebern quer durch die USA kehrte er 2005 ans CIA zurück, um dort für zwölf Jahre dessen Öffentlichkeitsarbeit zu steuern. „Während all der Zeit außerhalb des Hudson Valley haben mein Mann und ich stets unser Haus hier behalten – wir kommen immer wieder zurück“, so Hengst. Er und Patrick können sich nicht vorstellen, woanders zu leben. „Das Hudson Valley ist unser Zuhause.“ Inzwischen kümmert sich Stephan Vollzeit um die 2008 als Hobby-Projekt ins Leben gerufene Website BigGayHudsonValley.com, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die LGBTQ-Community im Hudson Valley zu vernetzen. Mittlerweile veranstalten die beiden unter ihrer Marke etliche Veranstaltungen wie den im Herbst stattfindenden Event „Out on the Farm“, After-Work-Partys oder den am 17. Mai erstmals geplanten Pride in the Sky auf dem ikonischen Walkway Over the Hudson.
Starke Community
Der im Jahr 1889 offiziell als Eisenbahnbrücke eröffnete Walkway ist heute mit über zwei Kilometern die längste Fußgängerbrücke der Erde, die auf 64 Meter Höhe den Hudson River überspannt. Mitten im Herzen des Hudson Valley gelegen, ist der Walkway Over the Hudson eine der Hauptattraktionen der Region, welche die Städtchen Poughkeepsie und Highland miteinander verbindet. „Für unser Pride Event wird die Brücke in Regenbogenfarben angestrahlt, es gibt DJs, eine große Party und wir werden ein über 200 Meter langes Stück der Gilbert-Baker-Regenbogenflagge aus Key West über den Hudson tragen“, so Stephan Hengst, der mit einer Besucherzahl zwischen 2.000 und 3.000 Interessierten rechnet. „Das Hudson Valley ist voll von queeren Menschen“, so Hengst. „Von hier sind es mit der Bahn neunzig Minuten nach New York City oder neunzig Minuten in die Hauptstadt Albany. Man ist nahe an der Großstadt, aber dennoch mitten in der Natur. Zudem ist das Gemeinschaftsgefühl sehr stark, die Leute haben in der Regel kein großes Ego. Jeder kann sein Leben im Hudson Valley so gestalten, wie er will, und das Angebot ist riesig – von Museen über exzellente Restaurants und viel Natur bis zu speziellen Veranstaltungen für die Community wie Naked Yoga, erotische Kunstausstellungen oder sogar Fetischpartys reicht die Palette.“ Für Stephan und Patrick ist es gerade diese Vielfalt, die das Hudson Valley für Bewohner wie Besucher so attraktiv macht. „Ich rate Besuchern immer, sich einfach ins Auto zu setzen und loszufahren“, so Hengst. „Jedes Städtchen, sei es Woodstock, Beacon, Rhinebeck, Tivoli, Kingston oder Hyde Park, hat sein eigenes Flair. Viele davon feiern sogar ihren eigenen Pride.“
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Walkway over the Hudson
In Hyde Park wurde 1882 der 32. Präsident der USA, Franklin D. Roosevelt, geboren. Sein Geburtshaus, die FDR Presidential Library & Museum sowie seine Grabstätte sind Teil der Home of Franklin D. Roosevelt National Historic Site und Teil des amerikanischen Nationalpark-Systems. Das Anwesen diente dem seit 1921 meist an einen Rollstuhl gefesselten Roosevelt, der Zeit seiner Karriere diesen Umstand zu verbergen wusste, im Sommer als Alternative zum Weißen Haus. Hier beschäftigte er sich mit der Tagespolitik und empfing Staatsgäste wie den britischen Monarchen George VI. samt Königin Elizabeth. Im Museum erfährt man mehr über Roosevelts New-Deal-Politik, die Zeit des Zweiten Weltkriegs mit Gründung der Vereinten Nationen sowie über das Verhältnis zu seiner Frau Eleanor. Während ihr eine lesbische Liebesbeziehung mit der Reporterin Lorena Hickok nachgesagt wurde, betrog er seine Ehefrau mit deren Sekretärin Lucy Mercer.
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Pilot auf dem Old Rhineback Aerodrome
Luftfahrtgeschichte
Von Hyde Park sind es gut zwanzig Autominuten in das kleine Städtchen Rhinebeck. Auf dem Weg dorthin passiert man die Sommerresidenzen des New Yorker Geldadels aus dem 19. Jahrhundert, allen voran das prächtige, im Beaux-Arts-Stil erbaute Landhaus der Eisenbahndynastie Vanderbilt sowie die Villa der Familie Mills in Staatsburg, deren 65 Zimmer noch einen Großteil ihrer originalen Möblierung aufweisen. Im malerischen Rhinebeck finden sich entlang der Hauptstraße zahlreiche kleine Boutiquen, Restaurants und historische Gebäude, die im National Register of Historic Places verzeichnet sind – darunter die 1825 erbaute Baptistenkirche, die heute das Restaurant Terrapin beherbergt. Für Fans der Luftfahrtgeschichte ist vor allem während der Sommermonate das Old Rhinebeck Aerodrome einen Abstecher wert. An den Wochenenden finden hier Flugshows mit etwa 15 bis 20 historischen Flugzeugen statt, darunter eine 1909 Bleriot – das älteste noch fliegende Flugzeug der westlichen Hemisphäre –, ein Fokker-DR-I-Dreidecker sowie ein Nachbau der Spirit of St. Louis, die 1927 von New York nach Paris geflogen ist . Zwischen Mai und Oktober hat man zudem die Gelegenheit, in einem historischen Doppeldecker, einer New Standard D-25 aus dem Jahr 1929, mitzufliegen und so das Hudson Valley mit seinen ausgedehnten Wäldern und den sich in der Ferne abzeichnenden Catskill Mountains aus der Vogelperspektive zu betrachten, während einem der Wind um die Nase weht.
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Minnewaska State Park Preserve
Wieder zurück auf der Erde sollte man sich die Zeit nehmen, die Natur des Hudson Valley zu genießen. Etwa im Minnewaska State Park Preserve, das auf einem bis zu 600 Meter hohen Bergrücken liegt. Der Park bietet zahlreiche Wasserfälle, drei kristallklare Seen, dichte Laubwälder, steil abfallende Klippen sowie Felsvorsprünge, die herrliche Ausblicke auf die Landschaft bieten. Über achtzig Kilometer Wander- und Radwege laden dazu ein, den Park zu erkunden, und mit etwas Glück kann man dort Hirschen, Stachelschweinen und jeder Menge verschiedener Vogelarten begegnen. Wer gerne in Gesellschaft wandert, kann sich einer der vielen queeren Wandergruppen anschließen, die es im Hudson Valley gibt, etwa den Hudson Valley Queer Rock Hoppers oder Get Out Hudson Valley.
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Dia Art Foundation
Moderne Kunst
Wer einen fotogenen Wasserfall sucht, aber keine Lust zum Wandern hat, sollte in Beacon vorbeischauen. Am Ende der schmucken Main Street stürzt das Wasser der Beacon Falls auf dem Weg in den Hudson River mitten durch den Ort. Beacon ist zudem ein beliebtes Ziel für die Fans zeitgenössischer Kunst. Seit 2003 steht hier das Museum der in New York ansässigen Dia Art Foundation. Im Dia:Beacon, das in den Hallen einer früheren Keksfabrik beheimatet ist, sind monumentale Werke von Richard Serra sowie Arbeiten von Joseph Beuys, Andy Warhol, Larry Bell, Gerhard Richter und vielen jungen Künstlern zu sehen. Fans moderner Architektur sollten zudem einen Abstecher auf das nördlich von Rhinebeck gelegene Gelände des Bard College machen. Etwa 2.500 Studenten belegen in der 1860 gegründeten privaten Hochschule Fächer aus den Bereichen Bildende und Darstellende Kunst, Sprach- und Literaturwissenschaften, Sozialwissenschaften sowie Mathematik, Natur- und Computerwissenschaften. Das markanteste Gebäude auf dem historischen Campus ist das 2003 eröffnete Richard B. Fisher Center for the Performing Arts. Die von Stararchitekt Frank Gehry entworfene Halle verfügt über einen Konzertsaal mit 800 Plätzen, ein Blackbox-Theater mit 200 Plätzen sowie etliche Proberäume und Studios für Kostüm und Maske. Unter den mehr als 200 Veranstaltungen pro Jahr ist neben dem Bard Music Festival auch SummerScape bekannt, ein Festival für Tanz, Theater, Oper, Kabarett und Film. Die Vielfalt im Hudson Valley kennt keine Grenzen.
Foto: Dirk Baumgartl
Hudson Valley
Richard B. Fisher Center
INFO
Alle Infos rund um das Hudson Valley findet man auf der offiziellen Website der Tourismusbüros des im Herzen der Region gelegenen Dutchess County. Auf den Websites von Big Gay Hudson Valley und Pink Stallion Events findet man neben Veranstaltungen für die LGBTIQ*-Community auch ein Verzeichnis von Geschäften und Restaurants, die von Mitgliedern der Community betrieben werden bzw. LGBTIQ*-freundlich sind. www.dutchesstourism.com; www.biggayhudsonvalley.com; www.pinkstallionevents.com
ANREISE
Von der New Yorker Penn Station im Herzen Manhattans fahren regelmäßig Amtrak-Züge in Richtung Albany und Niagara Falls durch das Hudson Valley mit Halt in Poughkeepsie und Rhinecliff. Eine Zugfahrt, die man sich nicht entgehen lassen sollte. In Poughkeepsie stehen Mietwagen, etwa von Enterprise, zur Verfügung, um von dort die Region individuell zu erkunden. www.amtrak.com; www.enterprise.com
HOTEL
Das im gleichnamigen Ort gelegene Hotel Tivoli ist ein Boutique-Hotel wie aus dem Bilderbuch. Jedes der in einem historischen Gebäude befindlichen elf Zimmer ist individuell mit Möbeln und Kunst ausgestattet. Neben einem ausgezeichneten Frühstück serviert das zum Hotel gehörende Restaurant The Corner mediterrane Gerichte mit lokalen Zutaten sowie ausgefallene Cocktails. www.hoteltivoli.org