Von der rauen Naturgewalt des Ozeans geprägt, ist die kanadische Provinz Nova Scotia ein Paradies für Outdoor-Fans. Während die Hafenstadt Halifax mit maritimem Flair punktet, fühlt man sich auf der Insel Cape Breton beinahe wie am Ende der Welt.
Es ist ein stürmischer Tag an der Ostküste Kanadas. Steil führen die Stufen hinauf zur Zitadelle von Halifax, einer auf einem weithin sichtbaren Hügel stehenden Festung, deren Vorgängerbauten seit dem Gründungsjahr 1749 über der Stadt thronen. Die heutige Zitadelle mit ihrem sternförmigen Grundriss stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und war so konzipiert, um sowohl Angriffe vom Land als auch vom Wasser abzuhalten. Die im Zentrum von Halifax gelegene Festung gehört heute zu Kanadas National Historic Sites und ist eine Art lebendes Museum. Dieses lässt während der Sommermonate die Zeit zwischen 1869 und 1871, als hier das schottische Highland Regiment 78 stationiert war, wieder auferstehen. Und so kommt es, dass dann Dudelsackpfeifer, Soldaten und Siedler anzutreffen sind, die Touristen über das Leben und ihre Aufgaben zu jener Zeit bereitwillig Auskunft geben.
Foto: Dirk Baumgartl
Halifax
Soldatendarsteller in der Zitadelle von Halifax
Geschichte der Seefahrt
Die Hauptstadt von Nova Scotia ist bis heute als Basis der Atlantikflotte der kanadischen Marine von großer militärischer Bedeutung und beheimatet – der Zahl des stationierten Personals nach – die größte Militäreinrichtung des Landes. Im Maritime Museum of the Atlantic wird die Geschichte der kanadischen Seefahrt und ihrer historischen Meilensteine erzählt. Dazu gehören die militärischen Operationen während der Weltkriege ebenso wie das Zeitalter der großen Ozeandampfer, die im Linienverkehr zwischen Europa und Nordamerika verkehrten. Ein besonderes Kapitel ist dabei dem Untergang der Titanic gewidmet, die im April 1912 etwa 1.100 Kilometer östlich von Halifax entfernt mit einem Eisberg kollidierte. Auf dem Fairview Cemetery, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, wurden 121 der Opfer beerdigt. Ebenfalls zum Maritime Museum of the Atlantic gehört die an einem Pier liegende CSS Acadia, ein historisches Dampfschiff aus dem Jahr 1913. Entlang der Hafenfront finden sich zahlreiche Restaurants, Imbissbuden und Shops. Das Unternehmen Harbour Hopper bietet zudem eine kombinierte Stadt- und Hafenrundfahrt mit umgebauten Amphibienfahrzeugen an, die einst dem Militär als Transporter dienten.
Foto: Dirk Baumgartl
Halifax
Hafen von Halifax
Meer aus Regenbogen
Peter Hradisky lebt seit gut zehn Jahren in Halifax und arbeitet als Koordinator für den Bereich Tourismus für die Canadian 2SLGBTQI+ Chamber of Commerce (CGLCC), einen Zusammenschluss queer geführter oder queerfreundlicher Unternehmen und Institutionen. Der gebürtige Slowake verließ in jungen Jahren seine Heimat und arbeitete unter anderem in der Tschechischen Republik und in Norwegen, bevor es ihn an die Ostküste Kanadas verschlug, wo er sich als schwuler Mann sichtlich wohlfühlt. Zwar gibt es in Halifax zurzeit keine wirklich queere Bar – der letzte verbleibende Klub Indulge hat seit August 2023 geschlossen und ist aktuell auf der Suche nach einer neuen Location –, für den Mittdreißiger ist dies jedoch kein großes Problem. „Hier in Halifax kann man quasi überall ausgehen, die Leute haben keine Vorurteile und sind unglaublich freundlich“, so Peter. Groß gefeiert wird der Pride, der in der Regel Ende Juli stattfindet. Zu dem 10-tägigen Festival gehören zahlreiche Kulturveranstaltungen, ein Straßenfest sowie eine Parade, die bis zu 50.000 Besuchende anlockt. Regenbogenflaggen sind aber nicht nur im Sommer überall gegenwärtig. Ob am Hafen, vor der Stadtbibliothek oder entlang der trendigen Gottingen Street: Immer wieder stößt man auf Regenbogenzebrastreifen, Aufkleber oder Fahnen – ein Phänomen, dass einem selbst in den abgelegensten Gegenden von Nova Scotia und sogar in den Nationalparks begegnet.
Foto: Dirk Baumgartl
Halifax
Peter Hradisky auf der Gottingen Street
Kein Grund zur Eile
Der Ozeans, die Natur und die Weite der Landschaft faszinieren ihn. „Wer durch Nova Scotia reist, sollte keinen Grund zur Eile haben und sich Zeit nehmen, die Region zu entdecken. Man kann tagelang wandern, Wale beobachten, beim Mud Sliding ein richtig dreckiges Abenteuer erleben oder an den Strand gehen.“ Der bei der Community beliebteste Spot ist der etwa vierzig Autominuten südlich von Halifax gelegene Crystal Crescent Beach, ein FKK-Strand, der an einer kleinen, halbkreisförmigen Bucht liegt, an die sich ein Abschnitt mit großen Felsen anschließt, auf denen man sich ungestört sonnen kann. Ein Besuch des Strandes lässt sich zudem gut mit einem Besuch von Peggy’s Cove verbinden. Der dort malerisch gelegene Leuchtturm aus dem Jahr 1915 gehört zu den schönsten der Provinz und ist der Höhepunkt der Lighthouse Route, die von Halifax an der Südküste Nova Scotias in Richtung Westen führt.
Foto: Dirk Baumgartl
Nova Scotia
Taylor's Head Beach
Baden erlaubt
Fährt man von Halifax dagegen an der touristisch weniger erschlossenen Ostküste entlang, findet man kilometerlange Strände, etwa den mit großen Kieseln bedeckten Lawrencetown Beach. Hier tummeln sich vor allem während des Sommers etliche Surfer, und wer will, kann sich bei den dort befindlichen Surfschulen Anzug und Board leihen, loslegen oder erst mal einen Kurs buchen. Aufgrund der hohen Wellen und tückischen Strömungen ist das Schwimmen nur in ausgewiesenen Zonen möglich, die von Rettungsschwimmern beaufsichtigt werden. Entspannter geht es an Stränden wir dem Taylor’s Head Beach zu, der an einer ruhigen, geschützten Bucht liegt und zudem aus feinem, weißem Sand besteht. Zwar ist das Wasser an der Küste von Nova Scotia recht frisch, in den Sommermonaten brennt die Sonne allerdings nicht weniger stark als an der deutschen Nord- oder Ostseeküste, sodass man locker den ein oder anderen Strandtag einplanen sollte. Falls das Wetter einmal weniger mitspielt, hält die Region einige Alternativen parat. Im Memory Lane Heritage Village erhält man einen Einblick in das ländliche Leben Nova Scotias in den 1940er-Jahren. Insgesamt 16 historische Gebäude sind hier zu sehen, darunter ein Schulhaus, eine Kirche sowie ein Tante-Emma-Laden, aber auch historische Autos wie ein Ford Model A aus dem Jahr 1928, alte Traktoren und Fischerboote. Eine noch längere Zeitreise zurück erlebt man im Sherbrooke Village Museum. Im flächenmäßig größten Museum der Provinz stehen über achtzig Häuser aus der Zeit zwischen 1860 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges. An den Wochenenden wird das Dorf dank zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter „lebendig“, wenn Schmiede, Töpferinnen, Bauern und Handwerker ihr Können zeigen. Nicht nur Liebhaber von Hochprozentigem sollten in der Authentic Seacoast Distillery & Brewhouse im kleinen Küstenort Guysborough vorbeischauen. 1659 wurde in dem Dorf das erste Bier Kanadas gebraut – eine Tradition, die der umtriebige Inhaber Glynn Williams wieder aufleben lässt. Neben Bier entstehen hier auch Whisky, Wodka und Rum. Sogar Wein wird auf dem riesigen Gelände mit Meerblick angebaut. Williams’ neustes Projekt sind komfortable Jurten, die mit viel Abstand voneinander auf dem Gelände verteilt sind und zum Teil über einen eigenen Außen-Whirlpool mit freiem Blick in die Natur verfügen. Zum Glamping-Glück gehört zudem ein zur Sauna umgebautes Weinfass, aus dem man auf einen kleinen See hinausschaut.
Foto: Dirk Baumgartl
Nova Scotia
Memory Labe Heritage Village
Nebeneinander der Kulturen
Von Guysborough sind es etwa 45 Minuten in Richtung Nordosten, bis man die Insel Cape Breton erreicht. Nur ein knapper Kilometer, den man mit dem Auto auf einem aufgeschütteten Damm zurücklegt, trennt die Insel vom restlichen Festland. Doch das gut 10.000 Quadratmeter große Eiland ist wesentlich wilder und weit weniger besiedelt als der westliche Teil Nova Scotias. Dafür spiegelt die Siedlungsgeschichte Cape Bretons die ganze Bandbreite der Bevölkerung Kanadas wider – von den Ureinwohnern des Stammes der Mi’kmaq über Franzosen, Briten und Schotten bis zu den später ankommenden Iren, Italienern, Osteuropäern und Amerikanern. Nach der Eroberung der Insel durch die Briten im Jahr 1758 kamen vor allem Siedler aus dem schottischen Hochland hierher. Das Erbe der circa 50.000 Schotten ist auf Cape Breton noch allgegenwärtig, sei es in der Musik, Sprache oder Kultur. Mehr darüber erfährt man in Museen und Institutionen wie dem Celtic Music Interpretive Centre in Judique, der Great Hall of the Clans at the Gaelic College in St. Anns oder dem Highland Village Museum in Iona. Überaus spannend ist zudem ein Besuch von Goat Island. Hier geben Mitglieder der Eskasoni, der mit 4.000 Mitgliedern größten Mi’kmaq-Community, Einblicke in das kulturelle und soziale Leben der an der Atlantikküste beheimateten kanadischen Ureinwohner. Auf einem gut zwei Kilometer langen Rundweg widmen sich verschiedene Stationen Themen wie Fischerei und Jagd, Musik und Magie, Medizin, Handwerk und Ernährung. Mitglieder der Community erzählen dabei von ihren Traditionen, aber auch von ihrem aktuellen Leben im Reservat, in dem sie eine Schule eine Radiostation und das Unama'ki Institute of Natural Resources (UINR), eine Einrichtung für Umweltschutz, betreiben.
Foto: Dirk Baumgartl
Nova Scotia
Eskasoni auf Goat Island
Hoch hinaus
Zu den Höhepunkten der Insel zählt jedoch ein Besuch des Cape-Breton-Highlands-Nationalparks. Die durch den Park führende Küstenstraße Cabot Trail gehört zu den spektakulärsten Routen Nordamerikas. Bevor man sich über enge Kurven die Steilküste entlang auf den Weg ins Hochland macht, sollte man am Beginn des Cabot Trail die Gelegenheit nutzen, den Nationalpark vom Wasser aus zu erleben. Von Chéticamp aus fahren täglich Schlauchboote aufs Meer, um Wale zu beobachten, darunter Mink- und Buckelwale sowie Delfine. Zurück geht es vorbei an der roten Steilküste mit ihren Klippen und ausgewaschenen Höhlen, an deren Eingängen sich Robben sonnen und jede Menge Seevögel umherfliegen. Von Land aus führen zahlreiche Wanderwege durch den Nationalpark und man sollte sich schon zwei oder drei Tage Zeit nehmen, diesen zu erkunden. Zu den Highlights zählt der gut sechs Kilometer lange und einfach zu wandernde Skyline Trail, der durch Wälder und über grüne Wiesen zu einem Aussichtspunkt hoch über dem Meer führt. Von dort blickt man auf die kurvige Straße des Cabot Trail und kann mit etwas Glück sogar die Fontänen der Wale sehen, die dicht an der Küste vorbeiziehen.
Foto: hellonorthstar.ca
Nova Scotia
Hotelbesitzer Colin und Justin
Schwule Gastgeber
Zu einer Umrundung von Cape Breton gehört zudem ein Stopp in Louisbourg. Hier, an einem der letzten Außenposten der Insel, errichteten die Franzosen im Jahr 1719 eine Festungsstadt, die Kabeljau-Fischern als Stützpunkt diente und sich zu einem der wichtigsten Handelshäfen zwischen Frankreich und der Karibik entwickelte. Die riesige Anlage wurde in den 1960er-Jahren zum Teil rekonstruiert und wird ebenfalls als „lebendes“ Museum mit Darstellern bevölkert. Nur fünf Autominuten entfernt bietet sich das kleine Boutique-Hotel North Star für eine oder besser zwei Übernachtungen an. Das auf einer Klippe gelegene Haus kam zu einiger Berühmtheit, als es von dem britisch-schottischen Designerpaar Colin Mc Allister und Justin Ryan im Rahmen der TV-Realityshow Colin & Justin’s Hotel Hell 2019 renoviert wurde. Das Ehepaar, das seit über dreißig Jahren zusammen ist und zwischen seinen Wohnsitzen in Toronto, London und im Sommer nun Nova Scotia pendelt, wurde vorher durch etliche TV Shows, Zeitungskolumnen und Bücher bekannt. Die Region erinnert beide an ihre Heimat Schottland. Die Einsamkeit, die Natur und das Bestreben der Menschen, die Kultur der Region zu bewahren, hat beide fasziniert. Ob sie als schwules Paar hier am Rande der Zivilisation Probleme hatten? „Absolut nicht“, sagt Justin. „Das interessiert die Leute einen Scheiß. Man war natürlich neugierig auf uns. Da passierte es schon mal, dass ein alter Seebär bei uns hereingeschneit ist und stundenlang seine Geschichten erzählt hat. Als uns der Hurricane Fiona im Jahr 2022 traf, war das Dorf zehn Tage ohne Strom und es war unglaublich, wie alle zusammengehalten haben.“ Heute erstrahlt das Hotel mit seinen zwanzig Zimmern in neuem Glanz. In ihrem Restaurant The Bothy, einer stylish umgebauten Scheune, werden am Abend Gerichte der Region mit einem französischen Touch serviert. Kabeljau steht dabei ebenso selbstverständlich auf der Karte wie Hummer, Muscheln oder Bœuf Bourguignon. Denn auch am Ende der Welt sollte man auf Genuss nicht verzichten.
Foto: Dirk Baumgartl
Nova Scotia
Festung Louisbourg
INFO
ANREISE
Der deutsche Ferienflieger Condor fliegt in der Sommersaison viermal wöchentlich von Frankfurt nonstop nach Halifax. Geflogen wird mit einem Airbus A330-900NEO der neusten Generation und neuer Kabine in Business, Premium Economy und Economy Class. www.condor.com
MIETWAGEN
Ein Mietwagen ist für einen Urlaub in Nova Scotia unerlässlich. Gute Angebote ab/bis Halifax gibt es zum Beispiel bei Alamo. www.alamo.de
HOTEL
Das von dem Ehepaar Colin und Justin betriebene Boutique-Hotel North Star ist perfekt für Übernachtungen in Louisbourg. Neben dem Fort lässt sich von hier aus auch Kanadas ältester Leuchtturm besuchen, Wanderwege führen entlang der spektakulären Küste. www.hellonorthstar.ca