Singapur gilt als die Schweiz Südostasiens. Es ist das mit Abstand wohlhabendste und fortschrittlichste Land in der Region zwischen Myanmar und Indonesien. Und seit dem 29. November 2022 steht gleichgeschlechtliche Liebe nicht mehr unter Strafe. Damit wird das kleine Wunderland Asiens noch attraktiver für Reisende und Auswanderer. Wenn bloß nicht das tropische Klima wäre.

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Die Abschaffung des Paragrafen 377A aus dem singapurischen Strafgesetzbuch galt als überfällig, schließlich stammte er aus dem Jahr 1938 und galt als Überbleibsel der britischen Kolonialherrschaft. Demnach war gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern noch bis vor ein paar Monaten in Singapur nicht erlaubt. Dies galt nicht für Frauen. Obwohl das Gesetz seit 2007 nicht mehr angewendet wurde, war dessen Existenz absurd in einem Land, das sich gerne als fortschrittlicher und offener Schmelztiegel der Kulturen präsentiert. Nicht ohne Grund zählt Singapur seit Jahren zu den beliebtesten Auswandernationen für sogenannte Expats.

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Bar-Besitzer des Epi: Ivan mit seinen Freunden Eric (links) und DJ (rechts)
Doch was hat sich in den Monaten seit der Abschaffung des Gesetzes geändert? „Nicht wirklich viel. Die Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Liebe fand nur auf dem Papier statt“, erklärt Eric, der aus Indonesien stammt, aber seit seiner Kindheit in Singapur lebt. Er feiert mit seinen Freunden chinesischer und japanischer Abstammung den Geburtstag des Barbesitzers Ivan, in dessen Bar „Epi“ – kurz für Epiphyte – die Party stattfindet. Man feiert ausgelassen unter sich. Die Bar befindet sich an der Neil Road, wo seit Jahren die Community ausgeht. Innerhalb weniger Meter kann man hier abends noch echtes Bar-Hopping betreiben zwischen der Neil Conversion Clinic, Epi und der Tantric Bar. Im Epi trifft man überwiegend auf Einheimische, während sich in der Tantric Bar viele westliche Besucher unter das junge Publikum mischen. Entsprechend hoch ist dort der Flirtfaktor.

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Szenetreff Neil Road
Man spricht Englisch
„Singapurer sind nicht besonders freundlich“, sagt Eric selbstironisch, obwohl er gerade einen Ausländer in seine Feiertruppe aufgenommen hat. Seiner Meinung nach seien Taiwanesen wesentlich gastfreundlicher, trotz der oft vorhandenen Sprachbarriere. In Singapur spricht man hingegen Englisch, damit sich die unterschiedlichen Kulturen des Landes verständigen können. Die meisten haben chinesische, malaysische oder indische Wurzeln. Dementsprechend sind ihre Muttersprachen und unzähligen Dialekte nicht kompatibel. Auf Englisch können sich alle verständigen, wovon auch Touristen und Auswanderer profitieren.

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Tantric Bar
Allerdings macht es der Kulturmix mit jeweils tief verankerten Traditionen und Religionen schwer, Akzeptanz gegenüber Homosexualität und Geschlechtervielfalt in der breiten Masse zu etablieren. „Ich arbeite in einer internationalen Kanzlei, da gehört Diversity zum guten Ton. Wir haben sogar eine Transgender-Person im Team“, erzählt Erik. Doch im normalen sozialen Leben werde noch oft hinter vorgehaltener Hand getuschelt, sobald jemand nicht den klassischen Rollenidealen entspricht. Per Gesetz lässt sich Akzeptanz eben nicht erzwingen. Immerhin ist Singapur auf einem guten Weg, wenn auch einem langen. Beispielsweise werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften weiterhin nicht anerkannt. Das wirkt sich nachteilig auf das Erbrecht, soziale Leistungen und die gesundheitliche Versorgung aus. Ganz zu schweigen von dem nicht vorhandenen Recht auf Adoption von Kindern.
Kleiner als Berlin
Eric wohnt mit seinem Partner zusammen. Sie haben, wie die meisten Singapurer, eine Eigentumswohnung. Für gleichgeschlechtliche Paare ist das nicht selbstverständlich. Rund achtzig Prozent der Wohnungen sind in staatlicher Hand, davon wird nur ein kleiner Teil vermietet, in etwa neunzig Prozent der Fälle müssen sie von den Bewohnern gekauft werden. Da das Land mit ca. 5,5 Millionen Bürgern auf einer Fläche kleiner als Berlin auskommen muss, wird Eigentum immer teurer. Das ist aber nicht der einzige limitierende Faktor. Nur verheiratete Paare dürfen eine Wohnung vom öffentlichen Bauträger kaufen. Oder Singles, die über 35 sind. Für gleichgeschlechtliche Partner heißt das, dass sie lediglich private Immobilien erwerben können – so wie Erik und sein Lebensgefährte.

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Blick auf das Marina Bay Sands Hotel
Dennoch: Gut Ausgebildete wie er haben in Singapur ein angenehmes Leben. Eric ist Anwalt und arbeitet in einer großen Kanzlei, die Kunden wie Apple betreut. Das Arbeitspensum sei zwar hoch, sagt er, aber dafür die Bezahlung fair. „Ich glaube, in Ostasien verdient man nur in Hongkong und Japan besser als hier“, sagt der Jurist. Und so wundert es nicht, dass Singapur ein wahres Konsumparadies ist, vor allem für Luxusgüter. Shopping und Essengehen gehören in Singapur zum Lifestyle dazu. Die Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie-Tempeln ist schier endlos. Doch anders als allgemein angenommen, ist Singapur keine reine Luxus-Oase.
Spektakuläre Bauten
„Marina Bay ist eher was für Touristen“, sagt Eric über die Hyper-Mall, durch die ein Wasserkanal mit Gondeln führt, an dessen Ufern sich Luxusmarken, ein Casino und High-End-Restaurants auf mehreren Etagen verteilen. Er selbst geht lieber am Clarke Quay shoppen, einer Mall an einer echten Uferpromenade des Singapur-Flusses. Oder in der Orchard Road, der mit über 5.000 Geschäften größten Shoppingmeile der Stadt. Doch selbst wenn man sein Geld nicht für Luxusgüter ausgeben will, ist der Besuch von Marina Bay ein Muss. Dieses am Ufer gelegene Stadtviertel beherbergt einige spektakuläre Bauten wie das „Marina Bay Sands“, ein ikonisches dreiteiliges Gebäude, dessen Türme in 200 Meter Höhe von einem 150-Meter-Swimmingpool überdacht werden. Zugang zum Pool haben nur Hotelgäste des Fünf-Sterne-Hauses. Wem das Bad über den Dächern der Stadt nicht mindestens 300 Euro für eine Übernachtung wert ist, der kann sich für umgerechnet 15 Euro ein Ticket zur Aussichtsplattform um das Schwimmbecken herum besorgen. Oder man besucht die Hotelbar auf der Dachterrasse, die zwar kostenfreien Zutritt gewährt, wo ein Bier aber in etwa dem Gegenwert eines Tickets für die Aussichtsplattform entspricht.
Urbane Zukunft
Wer günstiger eine grandiose Aussicht auf Singapur haben möchte, der sollte „The Pinnacle@Duxton“ besuchen. Es ist der Gegenentwurf zum Marina Bay Sands und kombiniert bezahlbaren Wohnraum mit hoher Lebensqualität. So entstand das weltweit höchste und größte Gebäude mit staatlich finanzierten Wohnungen. Der Bau besteht aus sieben Wohnblöcken, die in der Mitte durch Gärten und eine Laufbahn für Bewohner miteinander verbunden sind. Eine zweite Verbindung befindet sich auf dem Dach im 50. Stockwerk, wo auch Nicht-Bewohner für umgerechnet vier Euro Zugang bekommen. Mit jeweils 500 Metern Spazierweg sind die Gärten in der 26. und 50. Etage die längsten ihrer Art. Sowohl von außen betrachtet als auch in den Gärten selbst fühlt man sich in eine urbane Zukunft versetzt, die in Singapur bereits gelebte Wirklichkeit ist.
Aber zurück zu Marina Bay Sands: Ein Besuch empfiehlt sich insbesondere nach Sonnenuntergang, weil erst dann ein angenehmer Rundgang um die künstliche Bucht herum möglich ist, die Downtown-Beleuchtung es noch eindrucksvoller erscheinen lässt und täglich um 20 sowie 21 Uhr eine Licht- und Wassershow in der Bucht stattfindet. Auf keinen Fall sollte man einen Abstecher in die tropische Gartenanlage hinter dem Marina Bay Sands auslassen, die einem utopischen Märchen entsprungen scheint. Auch hier gibt es eine Lichtshow, jeweils fünfzehn Minuten früher als in der Bucht.
Kulinarischer Mix
Eine gänzlich andere Attraktion der Stadt ist ihre kulinarische Vielfalt. Der Mix aus indischer, chinesischer, malaysischer und westlicher Kultur spiegelt sich nicht nur in unterschiedlichen Vierteln wider, sondern auch in der einzigartigen Gastronomie. In „Little India“ wähnt man sich mitten in Neu-Delhi mit authentischer indischer Küche an unzähligen Essensständen. Noch größer ist die Auswahl auf dem „Chinatown Street Market“ mit überwiegend chinesischen und singapurischen Gerichten.

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Singapur
Wer wie die Einheimischen speisen möchte, der sollte Restaurants meiden. Stattdessen geht man zu den „Food Markets“, die überall in der Stadt verteilt sind. Dort befinden sich die sogenannten Hawker, wie Essstände in Singapur genannt werden. Jeder gute Stand ist meist auf eine kleine Auswahl von Gerichten spezialisiert. Durch Bebilderung und englische Bildunterschriften findet man schnell heraus, was angeboten wird. Die Gerichte der Hawker sind derart gut und günstig, dass viele zu Hause gar nicht kochen, sondern direkt bei ihnen essen oder es sich einpacken lassen.
Gaumenschmaus
Zwei der populärsten Singapurer Gerichte sind einfach, aber sensationell lecker: „Chicken Rice“ und „Laksa“. Ein Hawker in Chinatown wurde für sein Huhn mit Reis (gekocht in Hühnerbrühe) und Sojasoße sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Bei Laksa handelt es sich um eine Chili-Fisch-Kokosmilch-Suppe mit Reisnudeln sowie je nach Variante mit Muschelfleisch, Tofu oder Krabben. Ein Gaumenschmaus für umgerechnet drei Euro. Bei der Auswahl der Hawker muss man lediglich eine Regel beachten: Ist eine Menschenschlange davor, bekommt man dort garantiert gutes Essen für wenig Geld.

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Beliebtes Streetfood: die Chili-Fisch-Kokosmilch-Suppe Laksa
Viele Singapur-Besucher haken das Land auf einer Durchreise als „Overnight“-Destination ab. Dabei hat das kleine Land viel mehr zu bieten als den besten Flughafen der Welt und High-End-Prachtbauten. Man braucht mindestens fünf Tage, um ein wenig in die Kulturvielfalt Singapurs einzutauchen – auch weil Temperaturen und Luftfeuchtigkeit tagsüber das ganze Jahr über so extrem sind, dass man zwischen 14 und 18 Uhr kaum etwas draußen unternehmen kann. Zudem ist es der Zeitraum, in dem sich die drückende Hitze oft in tropischen Regenschauern entlädt. Und so ist Singapur ein attraktives Land, das jedoch klimatisch für viele „too hot to handle“ ist.
INFO
ANREISE
Lufthansa fliegt täglich direkt ab München und Frankfurt am Main nach Singapur. Alternativ fliegt die Low-Cost Airline Scoot direkt ab Berlin nach Singapur. www.lufthansa.com, www.flyscoot.com
HOTEL
Das Marina Bay Sands mit seinen 200 Meter hohen Türmen und dem riesigen Infinitypool gilt als Ikone unter den Hotels in Singapur und bietet von den oberen Stockwerken atemberaubende Blicke auf die Stadt. www.marinabaysands.com