Friedrich Nietzsche warnte einst: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei selbst zum Ungeheuer wird.“ Gerade in der LGBTIQ*-Community zeigt sich, wie schnell aus dem berechtigten Kampf gegen Diskriminierung ein starres Freund-Feind-Denken werden kann. Wer nicht vorbehaltlos hinter einer bestimmten Linie steht, wird ausgegrenzt. Doch genau diese Abgrenzung führt dazu, dass sich manche Lesben, Schwule und Transgender von der eigenen Community entfremden – und sich Parteien zuwenden, die eigentlich gegen ihre Rechte arbeiten.
Eine Umfrage, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 durchgeführt wurde, zeigte, dass dies kein Randphänomen ist. Laut einer Datingplattform, die hauptsächlich von schwulen Männern genutzt wird, wollte eine Mehrheit der dort Befragten die Rechtspopulisten wählen. 27,9 % entschieden sich für diese Partei – mehr als für die Grünen (19,9 %), die CDU (17,6 %) oder die SPD (12,5 %). Auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, wirft sie eine zentrale Frage auf: Warum wenden sich LGBTIQ*-Menschen einer Partei zu, die offen gegen sie arbeitet?
Ohnmacht der Worthülsen
Seit den 2000er-Jahren hat sich die LGBTIQ*-Community zunehmend entpolitisiert. Politische Talkrunden auf CSDs sind spärlich besucht, und oft genug redet man sich dort ohnehin nur nach dem Munde. Der Wille, politische Konflikte auszutragen, ist vielerorts der Angst vor unbequemen Debatten gewichen. Wer sich heute mit einem Tiktok-indoktrinierten AfD-Anhänger auseinandersetzen muss, hat oft wenig mehr zu entgegnen als die Floskel, man sei „für gleiche Rechte, Vielfalt und gegen Ausgrenzung“. Beliebigkeitsphrasen, bei denen Homo-Aktivisten der 70er- und 80er-Jahre nur peinlich berührt auf ihre Schuhspitzen starren können.

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Risse im Wir
„Noch gibt es die Chance zur ernsthaften Auseinandersetzung statt zur Ausgrenzung.“
Das Vermeiden offener, unideologischer Auseinandersetzungen hat dazu beigetragen, dass sich auch queere Menschen der AfD zugewandt haben – und diese Partei in Deutschland insgesamt an Einfluss gewinnen konnte. Wer sich von der eigenen Community nicht ernst genommen fühlt oder glaubt, dort keinen Platz für eine kritische Stimme zu haben, sucht sich Alternativen, die einfache Antworten bieten und das Gefühl von Zugehörigkeit, das in LGBTIQ*-Kreisen oft fehlt.
Zurückweisungspolitik
Diese Polarisierung ist kein neues Phänomen. Immer wieder wurde darüber diskutiert, die CDU von Pride-Veranstaltungen auszuschließen – selbst dann, wenn ihre Vertreter sich für queere Interessen einsetzten. Diese Abgrenzung isolierte innerhalb der Community auch Menschen, die in ihren eigenen Gruppierungen bereits einen schweren Stand hatten.
Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zeigt nun, dass queerfeindliche Positionen nicht nur von rechts außen kommen. Wagenknecht lehnt das Selbstbestimmungsgesetz ab und spricht von einer „radikalen Minderheit“, wenn sie über trans* Menschen redet – eine Rhetorik, die sich hier kaum von der AfD unterscheidet. Im BSW haben sich viele politische Akteure versammelt, denen frühere Linken-Wähler aus der Community noch bedenkenlos ihre Stimme gegeben haben. Das zeigt, dass Menschen sich zunehmend weniger an alten politischen Lagern orientieren, sondern dort Zugehörigkeit suchen, wo ihre persönlichen Sorgen ernst genommen werden.
In Frankfurt mussten die gewalttätigen Übergriffe auf queere Menschen erst eskalieren, während das Bündnis von GRÜNEN, SPD, FDP und Volt der Stadtregierung wiederholt betonte, dass für Queerfeindlichkeit kein Platz sei – doch es blieb lange bei bloßen Bekundungen. Erst als die Situation unerträglich wurde, folgten zaghafte Maßnahmen. Diese Untätigkeit und der Fokus auf symbolischen Gesten anstatt konkreter Maßnahmen zur LGBTIQ*-Daseinsvorsorge haben das Vertrauen in die traditionell queerfreundlichen Parteien erschüttert und dazu beigetragen, dass sich nun so viele von ihnen abgewandt haben.
Spaltung oder Dialog?
Statt Grabenkämpfen braucht die Community Wege, um alle ihre Mitglieder einzubinden und als Gemeinschaft mit einer Vielfalt von Lebensweisen und Meinungen zu bestehen – ohne in der zerrissenen Gesamtgesellschaft unterzugehen. Noch gibt es die Chance zur ernsthaften Auseinandersetzung statt zur Ausgrenzung. Wer die Debatte meidet und lieber ausschließt, statt eigene Positionen klar zu vertreten, isoliert sich letzten Endes selbst und verliert an Einfluss. Wer spaltet und den Dialog verweigert, riskiert amerikanische Verhältnisse, in denen nur noch Häme und Hass bleiben. Eine inklusive, demokratische Kultur entsteht nicht durch Abschottung, sondern durch ein selbstbewusstes, offenes und nötigenfalls streitbares Miteinander.