Stell dir vor, du bist Chef eines multinationalen Konzerns in Deutschland. Jahrelang hast du auf Diversity, Equity and Inclusion (DEI) gesetzt, bunte Regenbogenfahnen gehisst und auf CSDs Präsenz gezeigt. Plötzlich bekommst du Post aus den USA – vom Absender Donald Trump persönlich (oder zumindest seiner Botschaft). Die unmissverständliche Botschaft: Schluss mit Vielfaltsprogrammen, sonst drohen Konsequenzen für dein US-Geschäft. Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist brandgefährliche Realität und stellt deutsche Unternehmen und die queere Community hierzulande vor ein echtes Dilemma.
Der lange Arm des Anti-Woke-Kriegers

Grafik: Imagen 3
So stellt sich die KI von Google die Situation in Unternehmen vor. Zum Beispiel die bei Google?
Donald Trump und seine Administration haben der Vielfalt den Kampf angesagt. Mit Dekret 14173 und einer aggressiven Rhetorik gegen alles, was auch nur im Entferntesten nach „Wokeness” riecht, ziehen sie gegen DEI-Programme in den USA zu Felde. Begriffe wie „Frauen”, „Minderheit”, „Vielfalt” oder „Schwarz” werden aus offiziellen Texten verbannt, staatliche Förderungen gestrichen. Die Begründung ist so dünn wie Trumps Haarpracht: DEI-Richtlinien seien „illegal” und würden angeblich die Sicherheit gefährden. Dahinter steckt laut Experten eine „ideologiegetriebene Verdrehung”.
Dieser Kulturkampf beschränkt sich längst nicht mehr auf die USA. US-Botschaften in ganz Europa, auch in Deutschland, verschicken Drohbriefe an Unternehmen. Die Aufforderung: Haltet euch an die US-Regeln, stoppt die Förderung von Minderheiten, verzichtet auf Frauenförderung und Inklusion. Wer sich widersetzt, riskiert den Zugang zum wichtigen US-Markt und öffentliche Aufträge. Selbst deutsche NGOs, die US-Gelder erhalten, müssen Fragebögen ausfüllen und bestätigen, dass sie keine „Transgenderideologien” oder „positive Diskriminierung” unterstützen.
Zwischen Haltung und Hartherzigkeit: Das Dilemma der Konzerne
Deutsche Unternehmen mit US-Geschäft stecken in der Zwickmühle. Sollen sie ihre in Europa gesetzlich verankerten und gesellschaftlich geförderten DEI-Prinzipien verraten, um keine Milliardenumsätze zu verlieren? Oder riskieren sie finanzielle Einbußen, um Haltung zu zeigen?
Die Reaktionen sind gemischt und zeigen, wie schnell es mit der viel gepriesenen Unternehmensethik vorbei sein kann, wenn es ans Eingemachte geht. Manche Konzerne wie T-Mobile US (eine Tochter der Deutschen Telekom) haben bereits eingelenkt, DEI-Beiräte gestrichen und versprochen, „ungerechte Formen von Diskriminierung zu eliminieren”. Roche hat globale Frauen- und Minderheitenquoten ausgesetzt, Novartis plant, diverse Kandidatenlisten in den USA zu streichen. SAP-Chef Christian Klein betont zwar das Prinzip der „gleichen Chancen für alle”, fügt aber vielsagend hinzu, dass man sich „in jedem Land an die lokalen Vorschriften” halte und die USA ein „sehr wichtiger Markt” seien.

Umfaller
Die Strategie des „DEI Hushing” (Diversitätsvertuschung) macht die Runde: DEI-Programme werden umbenannt, um weniger aufzufallen, aber faktisch beibehalten – in der Hoffnung, damit durchzukommen. McDonald’s nennt sein Diversity-Team jetzt „Global Inclusion Team”, bei UnitedHealth Group spricht man von einer „culture of belonging”.
Doch nicht alle knicken ein. Die Lufthansa will an ihrem Diversity-Ansatz festhalten und verweist auf gesetzliche Vorgaben in Deutschland. Auch der „Lovehansa”-Airbus soll weiter mit Regenbogenfarben fliegen. Manch einer wirkt in diesem „transatlantischen Kulturkampf” überfordert. Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner spricht von „zeitgeistigen Wendemanövern” und kritisiert das Fehlen eines klaren moralischen Kompasses bei vielen Unternehmen.
CSDs unter Druck: Wenn Regenbogen verblassen
Die Auswirkungen von Trumps Anti-DEI-Kurs sind auch auf den Christopher Street Days (CSD) in Deutschland spürbar. Mehrere Sponsoren, insbesondere US-amerikanische Unternehmen oder solche mit starkem US-Geschäft, ziehen ihre Unterstützung zurück. Dem Berliner CSD fehlen dadurch rund 200.000 Euro bei den geplanten Einnahmen. Der CSD-Berlin-Vorstand Thomas Hoffmann:
„Wir stellen fest, dass US-amerikanische Unternehmen ihre Aktivitäten im Bereich Diversity, Equity & Inclusion (DEI) nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland bereits massiv zurückgefahren haben”.
Auch deutsche Unternehmen, die in den USA aktiv sind, würden Events wie die Pride weniger fördern. Das sei „hoch problematisch”, weil so „Druck auf Minderheiten ausgeübt wird”.
Der Zurich Pride spürt den Wandel ebenfalls und kann keine neuen Partnerschaften gewinnen, um Rückzüge zu kompensieren. Man denkt über eine stärkere Finanzierung durch Spenden aus der Community nach. In den USA ziehen sich große Namen wie Mastercard, PepsiCo und Nissan als Top-Sponsoren vom New York City Pride March zurück. Eine Umfrage zeigt, dass 39% der Führungskräfte planen, ihre Unterstützung für Pride in diesem Jahr zu verringern – aus Sorge vor DEI-Untersuchungen und konservativer Gegenreaktion.
Kritiker sehen darin einen Beweis, dass das Engagement für Diversität bei vielen Unternehmen nur Lippenbekenntnisse und Markenkommunikation waren, die bei Gegenwind schnell eingestellt werden. „Die Wirtschaft ist selten so progressiv, wie sie sich inszeniert”.
CSD unter Druck: Wenn Firmenlogos plötzlich „verschwinden”

Foto: Ralf Hirschberger / AFP
GERMANY-PRIDE-CSD
CSD Berlin 2024
Eine kritische Betrachtung verdient an dieser Stelle jedoch auch das Vorgehen einiger CSD-Veranstalter selbst. Über Jahre hinweg waren die Logos zahlreicher Unternehmen ein selbstverständlicher und oft auch offensiv präsentierter Bestandteil der Demonstrationen, verbunden mit wichtigen Sponsorengeldern. Angesichts der nun beklagten finanziellen Lücken durch zurückgezogene oder reduzierte Förderungen fällt auf, dass die Organisatoren die betroffenen Unternehmen oft nicht öffentlich benennen. Diese mangelnde Transparenz ist problematisch.
Wenn CSD-Vereine einerseits die schwindende Unterstützung beklagen, andererseits aber die Namen jener Firmen verschweigen, die ihr Engagement zurückfahren, untergräbt dies die Möglichkeit, öffentlichen Druck aufzubauen und eine echte Rechenschaftspflicht einzufordern.
Für eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit dem nachlassenden Engagement der Wirtschaft ist hier mehr Klarheit und Offenheit seitens der CSD-Organisatoren dringend geboten.
Europa in der Pflicht: Klare Kante gegen Woke-Wahnsinn, aber andersrum!
Europäische Politiker und Wirtschaftsverbände verurteilen den Druck aus den USA scharf. Sie sprechen von einer „wahnsinnig und übergriffigen” Einmischung und einem Angriff auf Europas Souveränität. Der Schutz vor Diskriminierung sei in Deutschland und Europa gesetzlich verankert und „nicht verhandelbar”.
Der Industrieverband BDI rät deutschen Firmen, nicht auf die US-Forderungen einzugehen und an ihren Prinzipien festzuhalten:
„Unternehmensprinzipien gelten unabhängig davon, welche Regierung in welchem Land regiert”.
Es wird lautstark gefordert, dass die Bundesregierung das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) reformiert und dem Druck aus den USA entschieden entgegentritt. Europa solle den Spieß umdrehen: Wer hier Geschäfte machen will, müsse sich zu Diversität, Gleichbehandlung und Inklusion bekennen. Die EU setzt ihre LGBTIQ*Strategie vielleicht nicht ganz zufällig gerade neu auf (m* berichtete).
DEI zahlt sich aus – auch wirtschaftlich
Trotz des Gegenwinds betonen viele die wirtschaftlichen Vorteile von Diversität. Diverse Teams seien oft innovativer und profitabler. Unternehmen, die Vielfalt fördern, seien produktiver und zögen qualifiziertere Mitarbeiter an. Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor. Eine Studie zeigt, dass zwei Drittel hochqualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten rassistischer Diskriminierung begegnen und deshalb abwandern. Wer Talente gewinnen und halten will, muss Antidiskriminierung ernst nehmen.