Am 4. Mai 2025 fand um 16 Uhr in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein Gedenken an die homosexuellen NS-Opfer statt. Hunderte, nach §175 StGB deportierte Männer starben dort. Im Vorfeld sprach hinnerk mit Historiker und Schwulenaktivist Dr. Gottfried Lorenz.
Was ist für das 80-jährige Gedenken in Neuengamme geplant?
Die Veranstaltung wurde auf Anregung von Senatsdirektor Pitz ins Leben gerufen. Ich wurde gebeten, die Organisation zu übernehmen. Es ist ein Teil der Gedenkstättenarbeit und findet am 4. Mai anlässlich der 80-jährigen Befreiung des KZ Neuengamme statt. Die Veranstaltung dauert von 16 bis 17:30 Uhr und wird von verschiedenen Initiativen getragen. Beteiligt sind die Stolpersteininitiative (Ulf Bollmann), Mira-Kristin Saitzek von QueerHistoryMonth, Klaus-Dieter Begemann für das mhc sowie ich für die Denkortinitiative.
Interessiert das die Menschen noch?
Dieses Gedenken muss interessieren. Wir stellen nicht die Frage, ob es gerade gefragt ist oder nicht, sondern setzen uns bewusst für dieses Erinnern ein. Deshalb engagieren wir uns für diese Veranstaltung in Neuengamme. Du weißt ja selbst, dass Neuengamme von Hamburg aus relativ weit entfernt liegt. Ich brauche von Glinde aus fast so lange dorthin wie nach Berlin. Deshalb wird die Veranstaltung auch gezielt beworben. Unterstützt wird die Veranstaltung von der gesamten queeren Community Hamburgs.
„Unsere wissenschaftliche Arbeit bildet die Basis für das Erinnern."
Welche Rolle spielt Forschung für eure Arbeit?
Unsere wissenschaftliche Arbeit bildet die Basis für das Erinnern. Ohne fundierte Forschung wäre es schwierig, die historischen Zusammenhänge klar zu vermitteln. Gerade in einer Zeit, in der Erinnerungskultur wieder verstärkt unter Druck gerät, ist es umso wichtiger, dass wir faktenbasiert und gut vorbereitet an die Öffentlichkeit treten. Die Verfolgung Homosexueller hatte gerade in Hamburg nicht nur in der nationalsozialistischen Zeit, sondern auch danach in der Bundesrepublik eine traurige Tradition. Trotz langer SPD-Regierung.

„Die Muster der Ausgrenzung wiederholen sich“ – Queere Geschichte braucht Erinnerung
Queere Geschichte ist ein bedeutender, aber oft übersehener Teil der allgemeinen Geschichtsschreibung. Während Errungenschaften und Kämpfe der LGBTIQ*-Community immer wieder in den Hintergrund gedrängt wurden, gibt es heute zahlreiche Initiativen, die diese Geschichten sichtbar machen und bewahren. Eine davon ist der QueerHistoryMonth (QHM) in Hamburg, der 2024 zum ersten Mal stattfand. Unser Interview mit Mira-Kristin:
Kannst du darauf etwas näher eingehen?
Du wirst mich nie sagen hören, dass nur die Rechten homophob waren und die Linken homosexuellenfreundlich. Das ist historisch einfach nicht korrekt. Detlef Grumbach beschreibt das sehr schön in seinem Aufsatz Die Linke und das Laster. Auch die Linke betrachtete Homosexualität lange Zeit als moralisches Problem. Meine persönlichen Erfahrungen zeigen, dass ich zu konservativen Personen privat oft ein besseres Verhältnis hatte als mit sogenannten Progressiven, die mir ihre Vorurteile über (dekadent, unnormal) bereitwillig mitzuteilen pflegten und verteidigten, dass Homosexuelle von den Linksparteien weder in der VVN noch als OdF akzeptiert wurden. Und die gewerkschaftlich organisierte Proletarier-Jugend machte sich nicht selten einen „Spaß", Schwule zu ticken.
Nach dem Krieg wurde Max Brauer (SPD), alter Arbeiterführer und ehemaliger Oberbürgermeister von Altona, zum Ersten Bürgermeister gewählt. Ihn autoritär und zugleich homophob zu nennen, trifft den Nagel auf den Kopf. In den anderen Parteien sah es nicht besser aus. Fiete Dettmer von der KPD, einst Gesundheitssenator, lehnte alle Homosexuellen strikt ab – begründet mit schlechten Erfahrungen in Konzentrationslagern.
Das Bedrückende ist, dass die homophobe Politik in Hamburg nicht von den alten Nazis betrieben wurde (die im Übrigen damals altersmäßig in den „besten Jahren" waren), sondern von der Hamburger Stadtführung, den Senatoren und der Bürgerschaft.
„Das Tanzverbot in Schwulenkneipen war hamburgtypisch, gab es weder in Bremen noch Hannover."
Und auch die Einführung der Einwegspiegel auf Klappen (öffentliche Pissoirs, die von Schwulen zur Anbahnung von Kontakten aufgesucht wurden) war in der Bürgerschaft auf offene Ohren gestoßen. Öffentlich aufgedeckt wurden sie schließlich, nachdem man über deren Existenz lange gemunkelt hatte, von Corny Littmanns Spiegelaktion (1980). Und es waren Hamburger Senatoren, die eine Entschädigung schwuler KZ-Opfer strikt ablehnten. Die „alten Nazis" dienten vielfach als Feigenblatt für eigenes Versagen.
Ende der 1990er-Jahre dachten viele, der Rechtsradikalismus sei besiegt. Heute sieht das anders aus. Wie konnte es dazu kommen?
Ein wesentliche Grund ist die Geschichtsvergessenheit. Das ist alles lange her, gehe uns nichts mehr an. Wir sehen in die goldene Zukunft; mit uns zieht die neue Zeit! Seit Jahren warne ich bei Vorträgen vor einem Zurückdrehen des Erreichten. Aber außer vielleicht einer Schrecksekunde tut sich nichts. Man schiebt die Schuld an 1933 auf die bösen Vorfahren, reflektiert aber nicht, wie es dazu hatte kommen können. Und hat auf einmal in den USA oder Ungarn ein Beispiel, wie schnell ein demokratischer Staat kippen kann und sich Opportunismus breit macht. Denunzianten werden sich bald einstellen.
„Die '68-er haben Verdienste, aber sie pflegten auch ein selektives Geschichtsbild."
Alles, was nicht in ihre Zielvorstellungen passte, war rechtsradikal, ging von Nazis aus. Der inflationäre Gebrauch dieser Begriffe führt dazu, dass, dass man sie kaum noch verwenden kann: Wer ist nicht alles homophob, häufig gepaart mit antisemitisch und somit rechtsradikal? Trump, Fico (Sozialdemokrat), Ungarn (Nationalist), China (nach eigenem Verständnis auf dem Boden des Marxismus-Leninismus), Duda in Polen (katholisch), Putin (großrussisch) und in Deutschland AfD und BSW, die aus ganz verschiedenen politischen Richtungen kommen. Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist problematisch, weil es Differenzierung verhindert. Wir müssen uns kritisch fragen: Haben wir uns wirklich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt oder sie nur oberflächlich als abgeschlossen betrachtet? Ich fürchte, wir waren zu selbstzufrieden.
Viele ältere Homosexuelle lehnen den Begriff „queer" ab. Warum?
Viele Schwule, vor allem ältere, fühlen sich nicht mehr wertgeschätzt. Plötzlich stehen andere Gruppen im Fokus, mit denen sie wenig Berührungspunkte haben. Das sorgt für Spannungen. Dies ist durchaus vergleichbar mit der Bevölkerung der DDR, deren Lebensentwürfe seit 1990 von Westdeutschen nicht wertgeschätzt wurden mit den daraus resultierenden politischen Folgen. Ich plädiere für eine einheitliche queere Community und nicht für zahlreiche kleine Communities, die nebeneinander agieren. Das hat die Hamburger Community auch absolut beeindruckend im Prozess um die Schaffung des Denkort für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gezeigt.

Hamburg: Farben des Regenbogens im Herzen der Stadt
Passend zum Pride-Wochenende 2024 hat die Kulturbehörde der Hansestadt Hamburg den Gewinner-Entwurf für das Projekt „Denk-Ort sexuelle und geschlechtliche Vielfalt” bekannt gegeben.
Der Denkort ist bewusst als Ort gemeinsames Erinnern geplant. Warum?
Wir haben es in Hamburg geschafft, diese Debatten ohne große Konflikte zu führen, was nicht selbstverständlich ist. Verfolgung war vielfältig. Natürlich gibt es historische Unterschiede: Lesben wurden nicht nach Paragraph 175 verfolgt, aber oft als „asozial", als „Prostituierte" stigmatisiert. Transvestiten stellten für die Strafverfolgung ein eigenes Problem dar. „Nicht-binär", „inter", „trans Menschen" fehlten im juristischen, medizinischen, sozialen und allgemeinen Sprachgebrauch. Es darf nicht darum gehen, Opfergruppen gegeneinander auszuspielen. Unser Ziel ist ein Gedenken, das alle queeren Verfolgungsgeschichten sichtbar macht.
*Interview: Christian Knuth