Die EuroPride 2025 in Lissabon zieht queere Menschen aus ganz Europa an. Zehntausende feiern auf Konzerten, in Clubs und bei der großen Parade am Samstag. Aber zwischen politischen Forderungen und kommerziellem Rahmenprogramm stellt sich die Frage: Wem gehört Pride heute – der Community oder dem Tourismusmarketing?
Sichtbarkeit trifft Strategie
Lissabon wirbt seit Jahren aktiv um queeren Tourismus. Die queere Wirtschaftsvereinigung Variações, mitorganisatorisch bei der EuroPride tätig, vertritt rund 60 LGBTIQ*-orientierte Betriebe. Laut ihren eigenen Angaben besuchen jährlich etwa zwei Millionen queere Tourist*innen Portugal – mit einem geschätzten wirtschaftlichen Effekt von bis zu zwei Milliarden Euro.
Diese Entwicklung ist politisch gewollt. Die Stadtverwaltung sieht in der EuroPride ein Mittel, das liberale Image Lissabons international zu stärken – eine Art Regenbogen-Marketingstrategie. José Marquina, Präsident von Variações, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: „Wir vertreten eine wachsende Marktnische mit hoher Kaufkraft.“
Exklusiv statt inklusiv?
Kritik bleibt nicht aus. Ein offener Brief, veröffentlicht von mehreren lokalen Aktivist*innengruppen auf queer.pt, wirft der Veranstaltung vor, queere Menschen mit wenig Einkommen, unsicherem Aufenthaltsstatus oder Behinderungen auszuschließen. Viele Events seien nicht kostenlos, nicht barrierefrei und orientierten sich eher an Touristinnen als an lokalen, vulnerablen Gruppen.
„Es braucht keine VIP-Tickets für queere Sichtbarkeit“, heißt es im Schreiben. Gemeint ist damit auch eine zunehmende Entpolitisierung der Veranstaltung – zugunsten eines konsumierbaren, marketingtauglichen Images.
Diese Kritik ist wissenschaftlich gestützt: Die Soziologin Kath Browne beschrieb bereits 2007 in ihrer Studie über Prides in Großbritannien, wie queere Demonstrationen immer stärker durch Sponsoren und Eventlogiken geprägt werden – und dabei zunehmend normierende, weiße und wohlhabende Zielgruppen bevorzugen.
Queer in Portugal
Portugal gilt international als LGBTIQ*-freundlich: gleichgeschlechtliche Ehe (seit 2010), Adoptionsrecht (2016), Verbot von Konversionstherapien (2023). Auf dem ILGA-Europe Rainbow Index 2024 belegte das Land Platz 11 von 49 untersuchten Ländern.
Doch NGOs wie Amnesty International Portugal weisen darauf hin, dass Hassverbrechen gegen queere Menschen nicht systematisch erfasst werden. Es fehlt eine zentrale Meldestelle – viele Fälle bleiben unter dem Radar.
Soziologe Vítor Correia verweist zudem auf anhaltende gesellschaftliche Vorurteile, besonders außerhalb urbaner Räume. „Die Gesetzeslage ist gut – aber das schützt nicht automatisch vor Diskriminierung.“
Politisches Zeichen
Mit der EuroPride 2025 will die Community ein Zeichen setzen – auch gegen die politische Entwicklung im eigenen Land. Bei den Parlamentswahlen im März 2025 wurde die rechtsextreme Partei Chega stärkste Oppositionskraft. Parteichef André Ventura spricht sich regelmäßig gegen Genderunterricht und Gleichstellungspolitik aus.
Organisator*innen betonen deshalb die politische Dimension der Parade. „Man will uns wieder unsichtbar machen – aber wir bleiben sichtbar“, so Marquina.
*Quellen: AFP, ILGA, queer.pt, Browne K., Amnesty International