Erstmals seit Jahren darf das queere Mitarbeitenden-Netzwerk der Bundestagsverwaltung nicht offiziell am Christopher Street Day (CSD) in Berlin teilnehmen. Die bereits bestätigte Anmeldung einer Fußgruppe wurde überraschend zurückgezogen (blu berichtete).

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Frau Klöckner zu Besuch bei Frankreichs Premier Francois Bayrou Anfang Juni
War zunächst noch unklar, wer und warum die Absage anordnete, erhielt der Tagesspiegel am späten Nachmittag des 16. Juni Antwort auf seine Anfrage. Demnach erfolgte die Abmeldung auf Anweisung der Verwaltungsspitze unter dem neuen Direktor Paul Göttke. Göttke wurde von der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für das Amt vorgeschlagen. Göttke ist seit 2006 in verschiedenen Funktionen im Bundestag aktiv. Vor seinem Amtsantritt war er stellvertretender Fraktionsdirektor und damit stellvertretender Verwaltungschef der CDU/CSU-Fraktion.
Diese enge, langjährige Verbindung zur Unionsfraktion lässt die Berufung auf eine neutrale Haltung für Kritiker umso weniger glaubhaft erscheinen, denn genau eine solche wird gegenüber dem Tagesspiegel ins Feld geführt. Aufgrund einer gebotenen Neutralitätspflicht dürfe die Bundestagsverwaltung nicht an politischen Demonstrationen teilnehmen. Privat stehe es den Mitarbeitenden jedoch frei, an der Veranstaltung teilzunehmen. Diese Haltung sorgte jedoch umgehend für Kritik und Unverständnis, insbesondere angesichts zunehmender rechtsextremer Attacken auf queere Veranstaltungen.
Massiver Widerspruch aus Opposition und eigenen Reihen
Der Berliner CSD e.V. bezeichnet die Entscheidung als „politischen Tabubruch“ und als „aktive politische Absage an queere Sichtbarkeit“. Besonders kritisch sieht der Verein, dass diese Entscheidung mitten im Pride Month getroffen wurde und sich damit in eine Reihe weiterer restriktiver Maßnahmen einreiht, wie etwa die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), in diesem Jahr die Regenbogenflagge nicht am Reichstagsgebäude zu hissen.

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Historisch und erstmal auch Vergangenheit: Pride-Beflaggung auf dem Reichstagsgebäude, dem Haus des Deutschen Volkes. Des ganzen.
Auch innerhalb der CDU regt sich Widerstand. Die LSU, die Vereinigung von Lesben und Schwulen in der Union, zeigte sich „entsetzt und sehr enttäuscht“ von der Entscheidung. Bundesvorsitzender Sönke Siegmann erklärte:
„Wenn sich LGBTIQ*+ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren und für Sichtbarkeit beim CSD einstehen wollen, darf das keine Frage von Protokoll oder Formalia sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.“
Gerade in Zeiten zunehmender Anfeindungen gegen queere Menschen sei ein klares Zeichen der Solidarität und Sichtbarkeit seitens der Institution Bundestag besonders wichtig.
Die Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), nannte das Verbot ein „falsches und unnötiges Signal”. Nyke Slawik (Grüne) sprach von einem „schwerwiegenden politischen Rückschritt”, während Maik Brückner (Die Linke) Klöckners Kurs als „gezielten Angriff auf queeres Leben” wertete.
Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) äußerte sich besorgt, dass getestet werde, wie weit man queere Menschen „demütigen und erniedrigen kann”, bevor es einen Aufschrei gebe.
Als Zeichen der Solidarität hat der Berliner CSD e.V. das Regenbogen-Netzwerk des Bundestags eingeladen, auf ihrem offiziellen Truck mitzufahren, um trotz der behördlichen Einschränkungen sichtbare Präsenz zu zeigen. Dies unterstreicht das Motto des diesjährigen CSD:
„Nie wieder still!“
